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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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letzte Glut des Tages, über ihnen brannten die Sterne. Es wurde eine kalte Nacht, und vor allem die Verwundeten litten. Dann und wann war ein Stöhnen oder unterdrücktes Fluchen zu hören. Auch die Männer, die wachfrei hatten, taten kein Auge zu; immer wieder kauerte sich eine Gestalt in der Deckung zusammen, um sich eine Zigarette anzuzünden.
    Tiefenbacher saß mit klammen Fingern hinter einem der MGs. Er hatte die Situation richtig eingeschätzt. Kurz vor Tagesanbruch hörte er in einiger Entfernung das typische Tschak-tschak-tschak-tschak trabender Kamele. Er schwenkte das MG in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und lauschte. Wenige Sekunden später vernahm sein geübtes Ohr das Knirschen hastender Füße auf Sand.
    Mit leiser Stimme gab er Befehl, eine Leuchtkugel abzuschießen. Im selben Sekundenbruchteil, in dem sie mit einem dumpfen Flopp zerplatzte und kreideweißen Schimmer über die Dünen erbrach, eröffnete Tiefenbacher das Feuer. In dem ungewissen Licht glaubte er einige Gestalten stürzen zu sehen und in etwa einhundert bis einhundertzwanzig Meter Entfernung acht oder zehn Kamele auszumachen, die sich erschrocken aufbäumten und an ihrem Zaumzeug zerrten - dunkle Flecken von Einschüssen erschienen auf ihren kreideweiß gebleichten Fellen, dann erlosch das Licht.
    Während das andere Maschinengewehr weiterfeuerte, schwenkte Tiefenbacher den Lauf seiner Waffe in die Gegenrichtung, um einem Angriff von der anderen Seite zu begegnen. Doch es erfolgte keiner.
    Die Gegner hatten nicht einen einzigen Schuss abgegeben. Hatten sie keine Gelegenheit mehr dazu gehabt? Tiefenbacher lauschte mit angehaltenem Atem in die Dunkelheit, aber er vernahm nichts als das Zähneklappern seiner Leute, die unter dem sternglitzernden Himmel froren, und das Ächzen der Verwundeten, wenn sie ihre unbequeme Lage veränderten. Und an der Grenze des Wahrnehmbaren konnte man ein feines, emsiges Flüstern vernehmen - den Nachtwind, der sich an der Düne rieb und geduldig Sandkorn auf Sandkorn von Luv nach Lee trug im großen Stundenglas der Zeit.
    Der Morgen schien nicht anbrechen zu wollen. Dann, endlich, zeigte sich ein heller Schimmer am östlichen Horizont. Tiefenbacher blinzelte angestrengt in die Dämmerung. Allmählich zeichneten sich Konturen ab, doch er vermochte nur die Flanken der Dünen zu erkennen. Sowohl die Kamele als auch die nächtlichen Gestalten waren verschwunden wie ein Spuk. Er nahm eine Maschinenpistole, kletterte aus der Deckung und näherte sich vorsichtig dem Terrain, das sie unter Feuer genommen hatten. Man sah die Krater und Furchen der Einschüsse, doch keinen Toten, kein Blut weit und breit - nur die Spuren von Männern und Kamelen.
    »Merde!«, sagte Tiefenbacher, ließ vier Mann aufsitzen und folgte mit dem intakten Fahrzeug den Spuren etwa sechs Kilometer weit, dann verlor er sie im felsigen Gelände. Er schlug einen Bogen nach Süden und stieß nach etwa drei Kilometern auf zwei schwarze Zelte. Nomaden. In einem Gehege aus Dorngestrüpp zupften etwa ein Dutzend Schafe und Ziegen an den spärlichen dürren Grashalmen, die zwischen den Steinen wuchsen.
    Tiefenbacher hielt an, ließ absitzen und die Zelte umstellen.
    »Alles raus! Aber ein bisschen plötzlich!«, brüllte er, hob seine Maschinenpistole und gab einen Feuerstoß in die Luft ab, um seinem Befehl Nachdruck zu verleihen.
    Es erhob sich lautes Geschrei, und zwei ältere und eine jüngere Frau sowie vier Kinder kamen zum Vorschein.
    Typisch, sagte er sich. Keine Männer. Wahrscheinlich waren sie bei dem Trupp, der sie überfallen hatte. Nun, die sollten sich wundern, wenn sie nach Hause kamen.
    Tiefenbacher ließ die Frauen und Kinder zusammentreiben und näherte sich vorsichtig den Zelten, um sie nach versteckten Waffen zu durchsuchen. Das erste Zelt war leer, nur ein paar Küchengeräte und irdene Schüsseln standen auf dem Boden. Tiefenbacher fegte sie mit einem Fußtritt beiseite. Als er das zweite Zelt betrat, nahm er aus den Augenwinkeln im Halbdunkel eine Bewegung wahr. Reflexartig schoss er in die Richtung. Als seine Augen sich eine Sekunde später an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er, dass er einen alten Mann vor sich hatte, der im Hintergrund des Zelts auf dem Boden hockte und offenbar nicht mehr gehen konnte.
    Der Alte hob seinen braunen, abgezehrten Arm und streckte die Hand aus, als wolle er ihn um etwas bitten, während er mit der anderen den schmutzig weißen Burnus vor der Brust zusammenhielt, der sich rasch mit

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