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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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hatte. Es handelte sich augenscheinlich um den Teil einer Waffe, eines Granatwerfers oder etwas Ähnlichem. Er konsultierte einige Handbücher; eine deutsche Waffe aus dem Zweiten Weltkrieg war es offenbar nicht. Nun wurde er stutzig. Doch all seine Bemühungen um eine Identifizierung blieben vergeblich. So schickte er einige Wochen später das Stück an die waffentechnische Abteilung des Verteidigungsministeriums in Paris.
    Dort war man indes ebenso ratlos, vor allem als man feststellte, dass es sich um eine Legierung handelte, die neben Vanadium und Wolfram ungewöhnlich viel Titan enthielt, ein teurer Werkstoff, mit dem man noch wenig Erfahrung hatte und den man vor allem wegen seiner Korrosionsbeständigkeit in Legierungen verwendete.
    Nach langem Zögern entschloss sich das Ministerium, einen US-Waffenspezialisten der NATO heranzuziehen, die zu jener Zeit noch im Palais Chaillot residierte. Dieser wurde munter, als er die Ergebnisse der Werkstoffanalyse zu Gesicht bekam, weil ihm bekannt war, dass mit ähnlichen Legierungen im Zusammenhang mit der Raketentechnik experimentiert wurde. Er setzte durch, dass Tiefenbachers Knarre über den Atlantik geflogen wurde. Sie gelangte im September 1959 in die waffentechnische Entwicklungsabteilung der Navy in Oakland, Kalifornien, wo seit dem Krieg im Pazifik die modernsten Werkstoffe entwickelt und auf ihre militärische Anwendbarkeit erprobt wurden.
    Dort rief das unansehnliche Stück Metall helle Bestürzung hervor, denn es glich - vielmehr das, was noch davon übrig war - aufs Haar dem Teil einer Waffe der Navy, die sich erst in Entwicklung befand und von der nur vier Prototypen existierten, die gerade erprobt wurden: ein tragbarer Werfer, mit dem man taktische Atomgranaten verschießen konnte.
    Commander Francis’ Stunde war gekommen. Er hatte in der Pazifikflotte gedient und galt bereits während des Korea-Krieges als einer der ausgewiesensten Experten für Waffen russischen und chinesischen Ursprungs. Man sagte ihm nach, er könne an einem fliegenden Geschoss erkennen, aus welcher Waffe es abgefeuert worden sei. Er hatte einen kühlen Verstand, gepaart mit jener Art von Penetranz, Sturheit, Ellbogentechnik und Gefühllosigkeit, die man gemeinhin als Durchsetzungsvermögen bezeichnet und honoriert, und er war stets Optimist, was seine Karriere betraf - und die Projekte, die er im Hinblick auf diese mit Tüchtigkeit und Tücke verfolgte.
    Zwischen 1954 und 1958 war er mit Werkstoffuntersuchungen beschäftigt gewesen, die die Navy anlässlich der Wasserstoffbombenversuche auf dem Eniwetok-und dem Bikini-Atoll durchführte, bei denen auf abgewrackten Schiffen in der Nähe der Explosionsherde verschiedene Materialien harter Strahlung ausgesetzt wurden.
    Die Navy holte Commander Francis nach Oakland und setzte ihn auf den rätselhaften und beängstigenden Sachverhalt an. Eine Beförderung zum Captain wurde ihm in Aussicht gestellt.
     
    »Kein Zweifel möglich?«, fragte Commander Francis und schabte mit der Messingfassung der Lupe seinen Nasenrücken, die Stirn in so düstere Falten gelegt, dass sein grau meliertes, bürstenhaft gestutztes Haar sich beinahe nach vorn sträubte. Er fuhr mit den Fingerkuppen prüfend über die stark korrodierte Oberfläche, als wolle er die ursprüngliche Form der Waffe ertasten.
    »Kein Zweifel, Sir«, sagte der Ingenieur und schob seine Brille aus dem fülligen Gesicht über die verschwitzte Stirn hoch, wo sie auf dem grauen Haarbüschel Halt fand, der zwischen langen, glänzenden Geheimratsecken üppig gedieh.
    Francis blickte unbehaglich auf die langen weißen Borsten, die aus dem Halsausschnitt seines Gegenübers quollen, betrachtete den fleckigen Labormantel, der sich über den voluminösen Bauch spannte und dessen Knöpfe abgesprengt zu werden drohten, bis sein Blick auf den roten, unglaublich breiten Händen und den Manschetten der zu kurzen Ärmel haften blieb, aus denen grauweißer Pelz quoll wie Spitzenrüsche. Ein weißer Affe, sagte sich Francis, ein majestätisches, grauweiß bepelztes, wohlgenährtes Tier. Es müsste besondere Rasiervorschriften für solche Typen geben. Er sah ein Bild aus seiner Jugend vor sich: Zwei Bauernburschen, die ein frisch geschlachtetes Schwein in einem Holztrog voll kochend heißem Wasser wälzten, bevor sie ihm mit Messern die Borsten von der Schwarte schabten.
    »Es ist geradezu verrückt«, schnaufte der Ingenieur und brach in ein glucksendes Lachen aus, das seinen mächtigen Bauch

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