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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Blut tränkte. Dabei sah er ihn mit wasserblauen Augen erschrocken an und formte mit dünnen faltigen Lippen unhörbare Worte. Plötzlich quoll ein Schwall helles schaumiges Blut aus dem Mund, rann ihm übers Kinn, färbte seinen schütteren Bart und troff ihm auf die Brust, während er noch immer weitersprach und die Hand bittend ausgestreckt hielt.
    »Bringt ihn hier raus! Los!«, schrie Tiefenbacher und spürte, dass er zitterte.
    Zwei seiner Leute schleppten den Sterbenden ins Freie.
    »Ich sagte, alles raus!«, herrschte er die Frauen an, die bei dem schrecklichen Anblick, den der alte Mann bot, in lautes Klagegeheul ausbrachen, worauf die Kinder zu weinen begannen.
    »Ruhe, verdammt noch mal!«, schrie Tiefenbacher.
    Er ließ zwei der Schafe ins Fahrzeug laden und die übrigen Tiere erschießen, dann wurden die beiden Zelte mit Benzin übergossen und angezündet.
    Sie waren schon einen guten halben Kilometer gefahren, doch das durchdringende Klagegeheul der Weiber hörten sie noch immer.
    »Das wollen Menschen sein?«, fragte Tiefenbacher. »Leben im Dreck wie die Zigeuner und heulen wie die Kojoten.« Er wollte lachen, aber es schnürte ihm die Kehle zu, denn er hatte das Gesicht des alten Mannes vor Augen, der ihn erschrocken anstarrte und nicht aufhören wollte, ihm unhörbare Fragen zu stellen. »Verdammt!«, sagte er immer wieder, als könne er sich damit des Spuks entledigen.
    Als sie zu ihrer provisorischen Stellung am Rand der Piste zurückkehrten, waren aus Quarglia zehn Mann Verstärkung mit drei Fahrzeugen eingetroffen, darunter ein Sanitätswagen, in dem die Verwundeten bereits versorgt wurden. Die Leichen des Fahrers und des gefallenen Soldaten lagen in schmucklosen flachen Fichtenholzsärgen, die am Straßenrand standen.
    »Etwas gefunden?«, fragte der Major. »Nichts«, sagte Tiefenbacher lakonisch. »Schöne Schweinerei«, meinte der Major, aber es klang ziemlich gleichgültig.
    »Kann man wohl sagen«, erwiderte Tiefenbacher. Bevor er sich hinters Steuer setzte, sah er nach, ob sich die vorsintflutliche Knarre, die er im Sand gefunden hatte, noch unter seinem Sitz befand.
    Sie war noch da. Niemand hatte von ihr Notiz genommen. Doch das sollte sich bald ändern.
     
    Im März des folgenden Jahres wurde Tiefenbachers Einheit nach Oran verlegt, um in der Stadt Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Nach den Monaten in verwanzten Wüstenquartieren genoss Tiefenbacher das unverhoffte Großstadtleben in vollen Zügen. Eines Abends - er hatte gut gegessen und Schampus getrunken, war dann mit einer fleischigen Hure nach oben gegangen und hatte ihr mächtig einen geschoben, hatte dann noch einen getrunken, um sich abzukühlen, fühlte sich wohlig an Geist und Glied erschlafft, war mit sich in seiner Erbärmlichkeit und der Erbärmlichkeit der Welt zufrieden - da lauerte ihm ein Heckenschütze auf, als er das Bordell verließ. Der erste Schuss traf ihn in die Schulter, der zweite in den Unterleib - und der riss ihn um. Aber noch im Fallen zog er seine Pistole. Er wollte sich auf den Bauch wälzen, um besser sein Ziel suchen zu können, doch er schaffte es nicht mehr. Auf dem Rücken liegend schoss er auf zwei Gestalten, die über die Straße rannten. Es waren zwei Araberjungen, die, von den Schüssen verängstigt, ihre Deckung in einer nahen Toreinfahrt verlassen und versucht hatten, die andere Straßenseite zu erreichen. Aber Tiefenbacher schoss noch immer viel zu gut. Dann riss ihn ein dritter Schuss gnädig in die Dunkelheit.
    Tiefenbacher lag röchelnd in einer immer größer werdenden Blutlache, und als die Ambulanz kam, war er bereits tot, doch er hielt die Waffe immer noch so fest, dass man sie ihm nur mit Mühe entwinden konnte.
    Als man in der Kaserne den Spind des Gefallenen öffnete, entdeckte man eine Kollektion von Beutewaffen, die ausgereicht hätten, den Caporal-Chef vor ein Kriegsgericht zu bringen. Darunter war auch jenes verrostete Bruchstück einer Waffe, das er an der Piste südlich von Cassi Touil gefunden hatte. Tiefenbacher hatte es mit einer Stahldrahtbürste, so gut es ging, gereinigt und von lockerem Rost befreit, dann mit Öl eingerieben und in ein Stück Wolldecke eingeschlagen. Es sah nun mattschwarz und eher wie ein Stück Holzkohle aus.
    Das Arsenal Tiefenbachers wurde einem Waffenspezialisten der Präfektur vorgelegt, der die Pistolen und automatischen Waffen identifizierte und ordnete. Als letztes betrachtete er ein verrostetes Beutestück, das er zunächst wenig beachtet

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