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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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einem Taxi in der Nähe der Kanzlei absetzen.
    Wie die meisten klein gewachsenen Männer mochte Steve große Frauen, und Lucy entsprach mit ihren 1,79 ganz seinen Vorstellungen. Sie nannte ihn scherzhaft Frankieboy wegen seiner entfernten Ähnlichkeit mit Frank Sinatra in dessen alten Filmen wie »Verdammt in alle Ewigkeit«, oder »Der Mann mit dem goldenen Arm« und behauptete, er müsse italienisches Blut in den Adern haben. Steve konnte sich zwar nicht vorstellen, wie sich ein Italiener in die fromme Baptistenfamilie der Stanleys hätte verirren sollen, aber der Augenschein sprach sichtlich dafür, das musste er zugeben. Seine Eltern hatten sich in jungen Jahren oft in Europa aufgehalten. Er konnte sich an seine Mutter kaum erinnern und kannte sie fast nur aus den Erzählungen seines Vaters. Sie war bei einem Unfall ums Leben gekommen, als er knapp zwei Jahre alt gewesen war. Nur ihre Stimme hatte er irgendwie im Gedächtnis behalten, eine helle, klare, melodische Stimme, die sich bei ihm seltsamerweise mit dem Eindruck von buntem Herbstlaub verband und dem Geruch von überreifem Obst an windstillen sonnigen Nachmittagen.
    Steve hatte Lucy zum Essen und dann in eine Bar einladen wollen, doch sie bestand darauf, selbst etwas zu kochen. Also fuhren sie in Lucys VW zum Einkaufen, und Lucy bereitete etwas höllisch Scharfes aus ihrem mexikanischen Repertoire. Als sie bei der zweiten Flasche Los Reyes saßen, musterte sie ihn mit funkelnden grünen Augen und sagte: »Benedikt« - sie sagte stets Benedikt zu ihm, wenn sie formell wurde -, »du musst selber wissen, was du tust. Es ist dein Job, und er muss dir Spaß machen. Du solltest um Himmels willen nie das Gefühl hegen, meinetwegen irgendetwas Großes versäumt zu haben. Das wäre für uns beide schlimm.«
    »Hör zu, Lucy. Ich möchte die Entscheidung nicht treffen, ohne mit dir darüber …«
    Sie hatte ihre Hand auf seinen Unterarm gelegt und musterte ihn mit einem Lächeln, in dem er eine Spur Traurigkeit zu entdecken glaubte. »Du hast dich doch längst entschieden, Steve. Auch wenn du es dir selbst gegenüber noch nicht zugibst.«
    »Aber Lucy, ich …«
    Als er sie hilflos anblickte, fuhr sie fort: »Aber ruf mich vom Cape aus an. Sag mir, was los ist, damit ich Bescheid weiß.«
    Als sie gegen Morgen erschöpft nebeneinander lagen, fragte sich Steve Benedikt ernsthaft, ob ihm nicht erheblich mehr daran liegen würde, mit Lucy gemeinsam eine Zukunft zu planen, als an all dem, was die NASA ihm bieten konnte. Und dann fanden sie beide noch ein bisschen Schlaf, bevor der Tag anbrach.
     
    Als Steve erwachte, war Lucy bereits ins Büro gefahren. Sie machte es ihm leicht, wollte es ihm leicht machen, das war ihre Art. Er frühstückte gemächlich, rauchte ganz gegen seine Gewohnheit eine von Lucys Zigaretten, legte eine Platte mit italienischer Lautenmusik auf, die zuoberst auf einem Stapel lag, und machte es sich in dem geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer bequem, stand wieder auf, betrachtete die Postkarten aus Mexiko und aus Europa, aus Sizilien, Kreta und Rhodos, die Lucy mit Reißzwecken an der Wand befestigt hatte. Seine Gedanken wanderten im Kreis; eine merkwürdige Unruhe hatte ihn erfasst, deren Ursache er sich nicht erklären konnte. Es war fast wie damals, als er nach Guam verlegt wurde. Kurz zuvor war sein Vater gestorben, Lungenkarzinom.
    Angeekelt drückte Steve die zweite Zigarette wieder aus, die er sich angezündet hatte, trug das Geschirr vom Abend zusammen und spülte ab. Dann zog er sich an, nahm seine beiden Koffer und den Seesack und machte sich auf den Weg zum Flugplatz.
    Er war viel zu früh da. Die Maschine aus Miami hatte wegen eines Sturmtiefs über dem Golf mehr als zwei Stunden Verspätung. Auch der Rückflug würde nicht über Houston gehen, sondern über Memphis umgeleitet werden.
    Er rief Lucy an und verabschiedete sich. Sie war sehr beschäftigt, und er war nicht unglücklich darüber.
    Gegen 16 Uhr startete die Maschine endlich, und als sie in Miami landete, wurde es bereits dunkel. Nach der staubtrockenen Luft von New Mexico klatschte ihm die schwüle Atmosphäre Floridas wie ein feuchtwarmes Handtuch ins Gesicht, als er dem Flugzeug entstieg.
    »Major Stanley?«, fragte ein Herr in Zivil, als er sich dem Ausgang näherte.
    »Ja, das bin ich«, sagte er.
    »Bitte folgen Sie mir.«
    »Ich habe mein Gepäck noch …«
    »Das wird erledigt. Wenn Sie mir bitte Ihr Ticket geben, Major.«
    »Aber …«
    »Mein Name ist Walton,

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