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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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nachäffte, »werde ich mich dem Ruf des Vaterlandes wohl kaum entziehen können.«
    »So etwas kann man doch unmöglich den Dummköpfen von der Navy überlassen«, sagte Loorey geringschätzig. »Außerdem bin ich inzwischen viel zu neugierig.«
    »Und du, Steve?«, fragte Jerome.
    Steve zuckte die Achseln. »Du?«, fragte er zurück.
    Jerome legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich glaube kaum, dass ich euch bei diesem Projekt allein lassen kann. Immerhin geht es um die Tradition des christlichen Abendlandes, wenn man dem Admiral Glauben schenken darf.«
    »Scheiß drauf!«, sagte Moses wütend.
    »Also tragen wir alle unsere Haut zu Markte«, meinte Loorey und nickte missmutig. »Zur Ehre der Nation.«
    Jerome schnaubte verächtlich.
    »Um die Weichen zu stellen für eine bessere, für eine glorreiche Zukunft dieses Landes«, sagte Moses, drückte mit der Zunge zwischen seinen Zähnen eine Beule in seinen Kaugummi und blies sie auf, bis sie flappend zerplatzte.
    »Aber die Hohlköpfe von der Navy können mich mal«, versicherte Jerome mit schwerer Zunge und goss den Rest seines Whiskys hinunter.
    »Und mich diese ganze christlich-abendländische Zivilisation«, erklärte Moses Calahan mit Nachdruck, spuckte seinen Kaugummi in die Hand und warf ihn in einen der überfüllten Aschenbecher. »Ich schwör’s euch!«
    »Die Navy und das christliche Abendland«, kicherte Loorey außer Atem vor Heiterkeit. »Die heilige päpstliche Flotte. Das ist einfach zu gut!«
     
    Steve lag in der Dunkelheit und zermarterte sich sein alkoholumnebeltes Gehirn, wohin wohl bei einer Gravitationsanomalie die zu der Gravitation gehörige Masse verschwinden könne, aber seine Gedanken hetzten durch düstere Labyrinthe, über die sich undurchdringlicher Nebel gesenkt hatte, und jedes Mal, wenn er einen Lichtschimmer zu erkennen glaubte und auf ihn zueilte, rannte er gegen eine Wand. Sein Kopf und seine Beine fühlten sich bleischwer an.
    Dann träumte er von einer Erzählung, die er vor vielen Jahren gelesen hatte. Sie handelte von einem Zeitreisenden, der ins England Shakespeares zurückkehrt, aber in eine alptraumhafte Welt gerät. Er war dieser Zeitreisende. Vor der Herberge, in der er Quartier zu finden hoffte, lag im Schlamm der Straße zwischen Abfällen und Unrat eine halb verweste abgehauene Hand, auf deren grauer, runzliger Innenfläche sich ein Auge öffnete, das ihn aufmerksam anstarrte.
    In dem großen holzgetäfelten Vorraum im ersten Stock der Herberge, der nur von einem schmalen Fenster erhellt wurde und von dem aus merkwürdige schmale Türen in die angrenzenden Räume führten, saß an einem mächtigen dunklen Schreibtisch ein großer, schlanker, weißhaariger Mann, der ganz in dunkles Leder gekleidet war und eine Gesichtsmaske aus rissigem Leder trug, wie sie früher Leprakranke anzulegen pflegten. Seine Augen funkelten durch die schmalen Schlitze, und vor dem Mund hatte er einen großzahnigen Reißverschluss, was dem leblosen Gesicht den Ausdruck eines grinsenden Totenschädels gab. Vor ihm auf dem Schreibtisch stand eine kostbare, kunstvoll geschliffene Vase aus venezianischem Glas, in der ein Strauß lilienartiger Blumen steckte, die anstelle der Staubgefäße Augen besaßen, die alle neugierig in seine Richtung blickten. Der Mann wies gebieterisch nach hinten in den düsteren Raum, und als Steve sich umwandte um festzustellen, was der Maskenmann ihm bedeuten wollte, sah er, dass sich im Halbdunkel unbemerkt eine Tür geöffnet hatte. Aus dem schmalen Raum dahinter, der nicht tiefer war als ein Sarg, trat eine Frau. Als sie das Gesicht in seine Richtung wandte, erkannte er sie.
    Es war Lucy!
    Er eilte auf sie zu. Die alten ausgetretenen Dielen unter seinen Füßen knarrten unnatürlich laut und gaben so stark nach, dass er einen Moment lang glaubte, durch die Decke ins Erdgeschoss hinunterzubrechen.
    »Lucy!«, rief er und breitete die Arme aus, um sie zu begrüßen. In diesem Augenblick schnalzte aus ihrem Dekolleté eines dieser lilienartigen Gewächse und starrte ihn an.
    Steve prallte entsetzt zurück, aber der Maskenmann war unbemerkt hinter ihn getreten, umklammerte ihn und presste ihm den Brustkorb so fest zusammen, dass Steve kaum noch atmen konnte.
    »Lucy!«, keuchte er, während der Maskenmann ihn unerbittlich festhielt und das gespenstische Blumenauge auf seinem fleischigen Stängel auf ihn zuwuchs. Steve bemerkte, dass Lucys halb entblößte Brust über und über mit winzigen Schweißperlen übersät

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