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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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wurden, und gleichzeitig das Tratt-tratt-tratt-tratt einer Flugabwehrkanone. Der Angriff galt also nicht ihnen.
    Steve rannte zur Katze zurück und sah Jerome reglos hinter dem Steuer sitzen. Seine sonst so hellen Augen waren ganz dunkel vor Furcht, und der Schweiß stand in dicken Perlen in seinem unrasierten Gesicht.
    »Was ist los mit dir?«, herrschte Steve ihn an.
    »Was sind wir für Idioten?«, schrie Jerome und hieb mit der Faust aufs Steuerrad. »Was sind wir für hoffnungslos verblendete Idioten, dass wir uns auf so etwas eingelassen haben?« Er öffnete mit einem Ruck die Tür und stürzte hinaus. Steve hörte, wie er nach hinten zum Anhänger rannte und sich übergab. Jeder muss auf seine Art mit dem Schock fertig werden, sagte er sich. Bei Jerome ist es ein physisches Problem. Während er sich auskotzt oder die Hosen runterlässt, weil Koliken ihm die Därme verwinden, nisten sich bei mir hinter der Stirn Spinnen ein, die mir die Gedanken mit grauen Netzen verhängen.
    Pünktlich kehrte die MIG aus Osten zurück. Wieder waren die Abschüsse zweier Raketen zu vernehmen und fast gleichzeitig die Detonationen der Sprengköpfe, und im selben Moment begann auch wieder das Abwehrfeuer. Die MIG kreischte heran und huschte über sie hinweg. Sie zeichnete einen Rauchfaden ins Blau des Himmels. Der Pilot versuchte die defekte Maschine noch hochzuziehen, um genug Höhe für den Absprung zu gewinnen, dann gab er auf. Ein Fallschirm erblühte im Gegenlicht und sank herab. An einer Bergflanke im Westen ein orangefarbener Blitz. Lautlos stieg eine Rauchwolke über der Aufschlagstelle empor. Lautlos schwebte das gebauschte Weiß aus dem Blau des Mittags und gab der Stille einen fast heiteren Akzent, dann erst wurde sie von der Wucht der längst vergangenen Explosion zerrissen.
    Steve überkam mit einem Mal große Ruhe. Es war, als hätte Jeromes Schwächeanfall der Situation ihren Schrecken genommen. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass er auch hier und jetzt, auf der anderen Seite des entsetzlichen Korridors, gebraucht wurde um seinesgleichen beizustehen. Und dieses Gefühl verschaffte ihm Befriedigung. Der Alb der Jahrtausende, der die Nacht zuvor auf seinem Herzen gelastet hatte, war von ihm gewichen.
    Steve stieg aus und setzte den Gaskocher in Betrieb. Als der Kaffee fertig war, füllte er zwei Becher und ging nach hinten zu Jerome. Nebeneinander im Schatten der Felswand niedergekauert, tranken sie das heiße Gebräu, ohne sich gegenseitig anzublicken.
    »Danke«, sagte Jerome, wischte sich den Schweiß von der Stirn und aus den Augen und ließ den Stahlhelm vor sich ins Gras fallen.
    Dann und wann waren kehlige, keckernde Schreie zu vernehmen, die aus einiger Entfernung beantwortet und dann weitergegeben wurden. Sie hörten sich fröhlich an, als breche ein Satyr beim mittäglichen Liebesspiel in Lachen aus, und die Heiterkeit pflanzte sich über die Berghänge fort, die voll unsichtbarer Liebesnester zu sein schienen. Steve hob den Kopf und lauschte staunend, aber er konnte die Rufe nicht deuten. Eine ausgestorbene Vogelart?, fragte er sich, doch irgendwie, bei aller Fremdheit, muteten sie ihn vertraut an, und beinahe hätte er ihnen in seiner unbeholfenen Art geantwortet.

Die Festung
    Sie hatten etwa eine Stunde gerastet, als sie aus Südwesten das Geräusch eines Automotors hörten. Steve und Jerome nahmen ihre Maschinenpistolen und gingen in Deckung. Das Geräusch kam rasch näher und kurz darauf erschien ein Stück weiter unten zwischen Geröll und Büschen ein Jeep, ein uraltes Vehikel, zerbeult und schlammverkrustet, mit zersprungener Windschutzscheibe und ohne Verdeck. Der Mann, der ihn steuerte, war von kleiner Gestalt und hinter dem Steuer kaum zu sehen. Das Fahrzeug preschte mit Vollgas heran, hielt mit quietschenden Bremsen etwa zehn Meter von ihnen entfernt. Der Motor wurde sofort abgestellt.
    Sie trauten ihren Augen nicht, als sie das Wesen erblickten, das unglaublich behände heraussprang. Es war höchstens einsfünfzig groß und hatte unverhältnismäßig lange Arme, die bei seiner gebückten Haltung bis auf den Boden reichten. Es trug einen Stahlhelm, der ihm viel zu groß war, eine vielfach zerrissene und ausgeblichene kurze Khakihose, die er von einem langjährig gedienten englischen Kolonialoffizier geerbt haben mochte, die bloßen Partien seines Körpers jedoch waren über und über behaart, ja selbst das Gesicht war von einem dichten sandfarbenen Fell bedeckt. Die zottigen Beine, die aus

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