Der Letzte Tag Der Schoepfung
Erschöpfung.
Nach dem Essen saßen sie dicht beieinander ums Feuer, das nicht die klamme Kälte vertreiben konnte, die alles durchdrang. Zwischen den Rohren troff das Wasser von der Decke; der Bach brauste zu Tal, eilte unerbittlich hin wie die Zeit, die für immer besiegt zu haben sie geglaubt hatten. Die Fragen und Antworten waren einsilbig. Wer im nächsten Frühling nach Atlantis gehen würde; was man sich auf dem Markt erzählt habe; wie viele der arabischen Söldner sich den Händlern angeschlossen haben mochten und auf eigene Faust Krieg führten, und wie viele wohl bereit sein mochten, Frieden zu schließen und eine gemeinsame Lösung zu suchen.
Selbst die Knirpse blickten niedergeschlagen drein, die Gesichter auf ihre dunklen haarigen Fäuste gestützt. Auch sie spürten irgendwie, dass sich die Zeit neigte, etwas zerbrochen war. Die Talglichter und Öllämpchen auf den Tischen malten bizarre Schatten auf die morschen Barackenwände, von denen der Anstrich abblätterte.
Nacheinander verabschiedeten sich die Männer mit gemurmeltem Gruß und tauchten in die Dunkelheit, krochen in ihr klammes Bettzeug und ihre kärglichen Träume.
Harald ging es schlecht. Steve vermutete, dass er sich eine Lungenentzündung zugezogen hatte. Jerome ging zum Kommandanten, um Antibiotika zu erbitten, doch Harness schüttelte bedauernd den Kopf.
»Seit acht Jahren haben wir keinen Container mehr mit Medikamenten aus der Senke gefischt. Und die anderen auch nicht. Sonst wären zumindest ein paar Sachen aus der Ladung auf dem Markt aufgetaucht. Die Navy wähnt uns bei bester Gesundheit. Francis ist wie immer optimistisch, und der Transport kostet Geld. Tut mir leid, Major. Wir können ihm nicht helfen. Wir müssen zusehen, dass er allein durchkommt.«
Sie wechselten sich ab, um Harald Gesellschaft zu leisten, soweit sie nicht auf Horchposten saßen, Patrouille in der Senke fuhren oder mit Arbeiten in der Festung beschäftigt waren: Steve, Jerome, Charles Murchinson, Ricardo Ruiz, ein kleiner schüchterner Mann Ende vierzig namens Leonard Rosenthal, Elmer Trucy, auf seine Krücke gestützt, stundenlang ausharrend, und natürlich Nina, die den Kranken versorgte.
Steve saß nächtelang auf einer der Pritschen im Lazarett, hörte sich geduldig die wirren Erzählungen des alten Mannes an, wachte über dessen rasselnden Atemzügen, wischte ihm den Schweiß von der leberfleckigen Stirn. Zuweilen war es ihm, als schlafe Harald nicht, sondern lausche erheitert irgendwelchen längst verwehten Dialogen der Vergangenheit, die wie Wellenschlag den Saum seines Bewusstseins berührten, das nicht mehr ganz das seine war.
Und mit einem Mal überkam Steve die beklemmende Idee, dass der Tod eine Art Gedankenlosigkeit sein könnte, eine Art greisenhafte Desorientierung, die Unfähigkeit eines Bewusstseins, sich in der Zeit zurechtzufinden, nicht mehr in der Lage, sich in die Gegenwart zurückzutasten; ein Bewusstsein, das durch die Korridore der Vergangenheit irrte, geisterhaften Dialogen der Erinnerung lauschte, während der Leib, achtlos den Gesetzmäßigkeiten der Materie überantwortet, in den Katakomben der Zeit vermoderte, wie eine ausgebrannte Schlacke der Zukunft entgegentrieb.
Steve wischte die schwarzen Gedanken beiseite. Er war für einen Moment eingenickt, blickte auf.
Harald war wach und musterte ihn aufmerksam.
»Ich wollte dich nicht wecken, Jerome«, sagte er: »Aber nun, da du wach bist, kann ich dich ja fragen. Hast du schon mal dieses Zeichen gesehen? Ein Wimpel mit einem Kreuz, der an einer Querstange an einem Fahnenmast hängt. Und dieser Fahnenmast wird von einem Schaf gehalten, das in alberner Weise sein rechtes Vorderbeinchen darum schlingt und ihn mit der Schulter aufrecht hält.«
Steve schüttelte verständnislos den Kopf.
»Agnus Dei«, sagte Harald, hob bedeutungsvoll den Zeigefinger und entblößte in einem Lächeln seine zahnlosen Kiefer. »Das Lamm Christi, das uns errettet.«
Steve versuchte seine Schläfrigkeit zu überwinden.
»Ich kann mich erinnern, dass ich höchst empört war, als ich dieses Zeichen zum ersten Mal sah.« Harald hustete, tat ein paar rasselnde Atemzüge und fuhr fort: »Ich war noch ein kleiner Junge, ging in die zweite oder dritte Klasse. Wir hatten Osterferien, und mein Vater, der damals auf dem Kopenhagener Flugplatz Flugstunden gab und eine Reparaturwerkstatt für Privatmaschinen betrieb, nahm mich nach Deutschland mit, als er geschäftlich dort zu tun hatte. Wir waren in
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