Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
Vom Netzwerk:
München, und es war ein unglaublich warmer Vorfrühlingstag mit einem blauen Himmel, wie es ihn bei uns in Dänemark kaum im Juli gibt. Die Leute saßen im Freien und tranken Bier aus riesigen Glaskrügen. Da sah ich in einer Bäckerei eine ganze Herde dieser Schafe, dieser Agnus Dei, große, mittlere, kleine, mit Staubzucker überpudert, dicht an dicht, eines blöder als das andere, und jedes hatte sein rechtes Vorderbeinchen um die Stange geschlungen, an der ein Wimpel mit der dänischen Flagge hing. ›Was hat das zu bedeuten?‹, fragte ich meinen Vater. Er machte ein sehr ernstes und sehr besorgtes Gesicht und meinte: ›Sie machen sich über uns lustig, Harald. Sie wollen damit sagen, wir Dänen würden von Schafsköpfen regiert. Und vielleicht haben sie gar nicht so unrecht.‹ Er zwinkerte mir zu. Ich erinnerte mich später, dass ich den Schalk in seinen Augen sah, ihn aber nicht zu deuten wusste. Nie hatte ich am Wort meines Vaters gezweifelt. Ich war zutiefst erbost, und mein Verhältnis zu den Deutschen war jahrelang ziemlich getrübt.« Harald kicherte, und seine Heiterkeit löste erneut einen quälenden Hustenanfall aus. Sein Gesicht war erhitzt, und Tränen standen ihm in den Augen vor Anstrengung.
    Er redet im Fieber, sagte sich Steve, als er ihm das Kissen schüttelte und wieder in den Rücken stopfte.
    »Und weißt du, Jerome, wo ich dieses Zeichen wiedergesehen habe?«, fragte Harald und blickte Steve prüfend an. »Hier!«
    »Hier?«, fragte Steve und wusste nicht so recht, wie weit er sich auf die Phantasien einlassen sollte. Harald schien völlig wach und bei Sinnen, auch wenn er ihn mit Jerome verwechselte, aber es mochte nach so langer Zeit das Namensgedächtnis sein, das ihn im Stich ließ. Er hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengepresst, und mit seinem verschmitzten Lächeln wirkte er wie der greise Henry Miller, von der hübschen Reporterin nach seinen Tagen in Clichy befragt.
    »Ja, hier!«, sagte Harald. »Ich war mit dem Jeep ziemlich weit nach Südosten gefahren, auf das Gebirgsmassiv von Sizilien zu, und hatte auf einer Anhöhe angehalten, von der aus man einen weiten Ausblick in die Tyrrhennische Senke hat. Da hörte ich noch weiter im Osten einen Materialisationsknall und sah Minuten später ein Fahrzeug heranschweben, das wir in unserer Jugend vielleicht als Fliegende Untertasse bezeichnet hätten, herrlich kobaltblau lackiert und mit einer gefährlich aussehenden Kanone, die eher wie eine Kurzwellenantenne aussah und oben auf das Dach dieses merkwürdigen Fahrzeugs montiert war. Und vorn auf dem Bug war dieses Zeichen, wunderschön, in Gold auf kobaltblauem Grund, das Lämmchen mit der Fahne. Ich kurve mit dem Jeep aus der Deckung, fahre geradewegs auf das gelandete Ding zu und traue meinen Augen nicht. Kommt ein riesengroßer Typ herausgeklettert, zwei Meter und noch was, mit kobaltfarbenem Schutzanzug und einem Helm wie ein Astronaut, hinter dessen goldbeschichteter Scheibe man nur ganz undeutlich ein Gesicht ausmachen konnte, und auf dem Ärmel seines Anzugs wieder dieses Zeichen. Jetzt spielt noch ein Verein mit bei diesem scheußlichen Poker, denke ich, steige aus und geh auf ihn zu, die MP habe ich wohlweislich auf dem Beifahrersitz gelassen. ›He‹, sage ich, aber der Typ versteht nicht ein Wort Englisch - von Dänisch ganz zu schweigen. Er redet in einer Sprache, die mich weit entfernt an meine Lateinstunden erinnert, aber es ist weder Latein noch Italienisch, eher so was dazwischen. Ich werde nicht schlau aus dem Typen, aber ich bemerke verblüfft, dass die Kanone auf dem Dach seiner Maschine mühelos jeder seiner Handbewegungen folgt. Ich habe natürlich sorgsam darauf geachtet, dass ich ihm keine Gelegenheit bot auf mich zu deuten. ›Laser?‹, frage ich scheinheilig. Er deutet auf eine Baumgruppe, vielleicht sechs-bis siebenhundert Meter entfernt. Die Kanone macht einen Ruck, speit Feuer, und die Bäume springen förmlich in die Luft, als das Licht sie trifft, bevor sie auflodernd zusammenstürzen. Ich nicke bewundernd und schiele mit gemischten Gefühlen auf das Lämmchen auf seinem Ärmel. Er stammelt in seinem komischen Latein, und ich flehe alle Götter an, der futuristisch gewappnete Humanist möge nicht im Dienst der Scheichs stehen. Aber die Sorge erweist sich als grundlos. Nachdem ich einen Teil meiner längst verschütteten Bildung ausgegraben und meinen Scharfsinn zusammengenommen hatte, stellte sich die Sache so dar: Er sei von der Päpstlichen

Weitere Kostenlose Bücher