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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Namen der Stadt auf die harte, kehlige Art der Spanier aus. »In Los Angeles werden wenige Yankees geboren. Los Angeles ist eine Stadt der Klöster und der Heiligen. Dort wurden noch in den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts zum Lobe Gottes Bücher und Menschen verbrannt. In Los Angeles regiert die Inquisition, herrschen die Rotkutten, die zu Gericht sitzen über die Lebendigen und die Toten und ihre Gedanken und Träume. Doch angenommen, du wärst im Los Angeles meiner Welt geboren: Was wärst du geworden? Pilot bei den Diablos des los Aereos, die in Manila die Zeit totschlagen und Napalm über den Dschungeln von Zamboanga und Basilan ausgießen, um die ungläubigen Moros auszutilgen, oder in Brasilien ›Widerstandsnester‹ der Indianer bombardieren, die den Drillern der Pemex im Weg sind, und weil man bei diesen armseligen Analphabeten angeblich aufrührerische leninistische Flugschriften aus Castros Druckereien gefunden hat?« Er wandte sich heftig ab. »Entschuldige, Steve. Ich wollte dich nicht verletzen. Es war eine schreckliche Erfahrung für mich.«
    »Weshalb die Bitterkeit?«, fragte Steve. »Trauerst du deiner Welt nach? Sie hat genauso wenig getaugt wie die meine.«
    »Ich wollte, ich wäre in deiner Welt aufgewachsen. Sie war größer, als ich mir die vorgestellt habe, die Admiral Francis uns versprochen hat. Dabei hat dieser selbstgerechte Schwachkopf eine weit bessere verspielt - und es nicht einmal bemerkt.«
    »Das liegt in der Natur chronotronischer Fraktionen«, sagte Steve. »Er hätte es nur bemerken können, wenn er hierher gekommen wäre.«
    »Ich hätte ihn über den Haufen geschossen«, versicherte Charles Murchinson missmutig. »Zur Hölle hätte ich ihn geschickt.«
    »Die hat er sich wahrscheinlich längst schon selbst geschaffen.«
    »Was ist das für eine Hölle, die er nicht einmal bemerkt?«
    Steve zuckte die Achseln. »Möglicherweise die grausamste.«
    »Ich habe mich schon oft gefragt«, warf Ruiz ein, »ob die eine Zukunft die andere auslöscht, oder ob sie irgendwie nebeneinander weiterexistieren.«
    »Irgendwie schon«, sagte Steve, »zumindest in unseren Erinnerungen. Ob sie in der Realität existieren, bezweifle ich. Aber wir wissen zu wenig darüber.«
    »Das würde bedeuten, dass die Zukunft, wie ich sie in Erinnerung habe, mit mir stirbt«, sagte Ruiz.
    Steve nickte.
    »Dann sollte ich sie aufschreiben.«
    »Für wen?«, fragte Charles.
    »Für die Goodlucks und Blizzards der nächsten fünf Millionen Jahre. Für die Nachfahren der Atlantiden.«
    Charles lachte. »Lass gut sein, Ricardo. So erstrebenswert war unsere Welt nicht. Sie werden eine bessere finden.«
    »Dabei könnten ihnen unsere Aufzeichnungen helfen.«
    »Du unterschätzt die Zeiträume«, sagte Steve. »Zwischen diesem Tag und der Epoche, die man die ›menschliche Kultur‹ nennt, liegen unbeschreibliche Einöden, in denen der Staub der Geschichte wieder und wieder umgeschichtet werden wird. Selbst Pyramiden hielten solchen Zeitspannen nicht stand. Was also sollen ein paar Fetzen Papier, die Kunde von einer fernen Zukunft geben, die selbst uns schon unwirklich vorkommt. Bringe Ihnen ein paar verschlagene Tricks bei, damit sie sich besser durchschlagen können. Das ist alles, was du ihnen auf den langen Marsch mitgeben kannst.«
     
    Es war ein paar Wochen später - Steve war mit Jerome und Leonard Rosenthal nach Norden geritten, um die Küste zu inspizieren - da sah Steve zum ersten Mal eine Materialisation. Es war ein Bündel fünfzig Meter langer Pipeline-Rohre. Der Nachhall des Materialisationsknalls rollte an den westlichen Berghängen entlang; an beiden Enden der Ladung entfalteten sich ganze Trauben von Fallschirmen, blühten auf in frühlingshaftem Weiß, dann sank das Gebilde majestätisch herab, schlug wie in Zeitlupe auf die Meeresoberfläche, Wasserfontänen schossen empor, stiegen hoch und immer höher, fielen lautlos wieder zurück. Die Fallschirme erschlafften und breiteten sich aus, und während die Rohre langsam versanken, sammelten sie sich an beiden Enden wie Kolonien blassgrauer Quallen, bevor sie ihrer Last zögernd in die Tiefe folgten.
     
    Im Frühjahr darauf war Steve mit Charles in den östlich der Festung liegenden Bergen auf Ziegenjagd. Sie trugen Stiefel und Kampfhosen, weil es in der Gegend eine Menge Schlangen gab, ärmellose Jacken aus Ziegenfell über ihren zerrissenen, ausgewaschenen T-Shirts und breite, aus Riedgras geflochtene Hüte gegen die Sonne. Sie jagten mit Bogen,

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