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Der letzte Tag der Unschuld

Der letzte Tag der Unschuld

Titel: Der letzte Tag der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edney Silvestre
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welche gehabt haben. Alle Frauen tragen Höschen. Unterhose, Miederhose, BH , Unterrock, Strumpfgürtel. Das tragen sie alles unter ihren Kleidern.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß es eben.«
    »Trägt deine Mutter das alles?«
    »Lass meine Mutter da raus.«
    Paulo setzte sich. Mütter waren ein Thema, das beide tunlichst vermieden. Was Paulo anging, weil seine Mutter tot war, im Fall von Eduardo, weil sie noch so hübsch war. Noch so eine stillschweigende Abmachung zwischen ihnen.
    »Erinnerst du dich noch an deine?«, fragte Eduardo plötzlich zögernd.
    »Meine was?«
    »Mutter.«
    »Mhm.«
    Das war keine Antwort, sondern die abschließende Bemerkung zu einem Thema, von dem Eduardo ahnte, wie schmerzlich es für Paulo sein musste.
    »Tut mir leid. Ich hätte nicht fragen sollen.«
    »Mhm.«
    »Aber manchmal … Manchmal überlege ich, ob … ob du nicht …«
    »Mhm.«
    »… Sehnsucht hast. Ob du keine Sehnsucht hast. Sie nicht vermisst.«
    »Mhm.«
    »Hast du keine?«
    »Mhm.«
    »Erinnerst du dich nicht?«
    »Mein Vater.«
    »Was?«
    »Mein Vater.«
    »Dein Vater?«
    »Mein Vater hat eins.«
    »Was hat dein Vater?«
    »Eins von ihr.«
    »Was hat dein Vater?«
    »Ein Foto.«
    »Ein Foto?«
    »Ein kleines. Ein Passfoto.«
    »Dein Vater?«
    »Er hat eins.«
    »Ein Foto von …?«
    »Von ihr. Ein kleines. In seiner Brieftasche versteckt.«
    »Ein Foto von deiner Mutter?«
    »Nur das eine. Ich hab nur das eine gesehen.«
    »Von deiner Mutter?«
    »Ich bin an seine Brieftasche gegangen, um mir ein bisschen Geld zu mopsen.«
    »Gibt er dir nie welches?«
    »Da habe ich es gesehen. Klein. Ein Passfoto.«
    »Und er bewahrt es in seiner …«
    »Dunkelhäutig. Mager. Ziemlich große Zähne. Ein Passfoto. Das ist das einzige, das ich je von ihr gesehen hab.«
    »Gibt es denn sonst keines?«
    »Ich erinnere mich nicht an sie.«
    »Hast du denn nie …«
    »Wenn ich an sie denke …«
    »Ja?«
    »Dann denke ich an das Foto. Das mein Vater in seiner Brieftasche versteckt. Das ist nicht das Gleiche, wie wenn man sich erinnert.«
    Er verstummte. Eduardo wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Wenn der alte Spinner nicht aufgetaucht wär«, brach Paulo das Schweigen, »wie wir dort waren …«
    » Als wir dort waren«, verbesserte ihn Eduardo, erleichtert darüber, dass sie sich wieder auf sicherem Terrain bewegten.
    »Als wir dort waren, dann hätten wir sicher was gefunden.«
    »Wir haben die Präser gefunden.«
    »Die gibt es bei mir zu Hause haufenweise.«
    »Dein Vater und dein Bruder sind ja auch immer bei den Nutten. Da muss man Präser benutzen, sonst steckt man sich an.«
    »Hat dir das dein Opa erzählt? Der Verrückte?«
    Eduardo wusste es nicht mehr. Er glaubte, es irgendwo gelesen zu haben. Aber wo konnte man etwas über Nutten und Krankheiten nachlesen? In keinem der Bücher, an die er sich erinnerte, war davon die Rede. Auch in keiner Zeitung oder Zeitschrift. Nicht einmal in den Schmuddelheftchen, die er immer am Stand von Carlos Zéfiro mitgehen ließ, wenn er die deutschen Schnittmuster- und Modehefte bezahlte, die die Mutter bestellt hatte. Vielleicht war es doch der Großvater gewesen.
    »An dem Tag, an dem er dich ins Rotlichtviertel mitgenommen hat?«
    »Kann sein. Wusstest du nicht, dass man sich bei Nutten anstecken kann?«
    »Doch. Antonio hat’s mir gesagt.«
    »Ja und?«
    »Wenn man zu Nutten geht. Dann schon. Dann muss man Präser benutzen. Aber der Zahnarzt. … Was glaubst du, wozu der Zahnarzt so viele Präser gebraucht hat?«
    »Um keine Kinder zu kriegen. Damit seine Frau nicht schwanger wird.«
    Paulo sah seinen Freund misstrauisch an.
    »Woher weißt du das?«
    »Bei mir zu Hause gibt es auch welche.«
    »Das hast du mir nie erzählt.«
    »Aber es gibt sie.«
    »Wie bist du darauf gekommen?«
    »Ich habe sie entdeckt.«
    »Wo?«
    »In der Nachttischschublade, in der mein Vater seinen Revolver aufbewahrt.«
    »Was für einen Revolver?«
    »Er hat einen Revolver. Aus der Zeit, als er Wachmann beim Getreidedepot war.«
    »Das hast du mir nie erzählt.«
    »Ich hab’s vergessen zu erzählen.«
    »Und er schließt die Schublade nicht ab?«
    »Doch.«
    »Und wieso hast du sie dann gefunden?«
    »Na, ich hab das Schloss aufgemacht.«
    »Wie denn?«
    »Mit einem Draht.«
    »Du weißt, wie man ein Schloss ohne Schlüssel aufkriegt?«
    »Ja.«
    »Wo hast du denn das gelernt?«
    »Indem ich’s geübt hab.«
    »Und die Präser lagen da drin? Damit sie keine Kinder mehr kriegen? Machen

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