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Der letzte Tag der Unschuld

Der letzte Tag der Unschuld

Titel: Der letzte Tag der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edney Silvestre
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paar Hühner scheuchen.
    »Wir glauben nämlich, dass er die blonde Frau nicht …«, fing Eduardo wieder an.
    Die Hände wedelten heftiger.
    »Husch, husch! Weg hier!«
    »Der Zahnarzt hat gestanden, aber wir glauben …«
    »Husch, ab nach Hause! Husch, husch!«
    »Aber wir wollen doch nur …«
    »Haut ab!«
    »Wir …«
    »Macht, dass ihr wegkommt!«
    Die Jungen wechselten einen Blick.
    »Verschwindet, habt ihr nicht gehört? Weg! Husch! Ab nach Hause und ins Bett. Na los, haut endlich ab!«
    Eduardo und Paulo drehten sich um und trotteten davon. Der Alte wartete, bis sie außer Sichtweite waren. Dann ging er in die entgegengesetzte Richtung.
    Kaum war er um die Ecke gebogen, tauchte Paulo aus dem Schatten auf, gleich hinter ihm Eduardo.
    Es war nicht schwer, dem Alten zu folgen. Wie in der Nacht zuvor hielt er sich in der Mitte der leeren Straßen. Gemächlich schlenderte er an der Tuchfabrik vorbei. Dann stieg er langsam den Hang hinter der Kathedrale hoch. Ging um sie herum. Blieb stehen. Wandte sich um, sah zur Turmuhr hinauf. Ging weiter. Klein und schmächtig durchquerte er ohne Eile die stille Rua do Comércio. Eduardo wurde bei seinem Anblick weh ums Herz.
    »Ich will niemals alt werden«, sagte er leise.
    Paulo sah ihn verständnislos an.
    »Alt sein, das ist traurig.«
    »Warum?«
    »Immer wenn ich einen alten Menschen wie ihn sehe, jemanden, der so … Dann fühle ich mich, als ob … Ich kann es nicht erklären. Ihm bleibt nichts mehr, verstehst du?«
    »Nee.«
    »Es ist vorbei, findest du nicht?«
    »Was ist vorbei?«
    »Alles. Für ihn.«
    »Versteh ich nicht.«
    »Vergiss es.«
    Am Platz angekommen, ging der weißhaarige Mann schnurstracks auf das einzige Gebäude zu, das noch geöffnet war. Eine Bar. Die letzten beiden Gäste plauderten über den Tresen hinweg mit dem Wirt. Der Alte gesellte sich zu ihnen.
    »Das sind seine Spießgesellen«, sagte Paulo, entzückt über das Wort, das ihm gerade eingefallen war.
    Eduardo war anderer Meinung. Er glaubte nicht, dass Komplizen sich so in aller Öffentlichkeit treffen würden. Aber er hatte auch keine Erklärung für das merkwürdige Verhalten des Mannes. Paulo legte ihm seine neueste Theorie dar:
    »Er ist der Mörder. Er ist zum Zahnarzt gegangen, um die Beweise verschwinden zu lassen. Ein Verbrecher kehrt immer an den Tatort zurück.«
    »Aber der Mord wurde doch am See begangen.«
    »Hat der Zahnarzt bei der Polizei nicht gesagt, dass er sie zu Haus umgebracht hat?«
    »Aber wir wissen, dass es nicht dort gewesen sein kann.«
    »Aber findest du es nicht auch komisch, dass dieser Knacker aus dem Altersheim in das Haus gegangen ist?«
    »Ja.«
    »Wenn der Alte nicht der Komplize vom Zahnarzt ist, ist er verrückt.«
    »Kann sein. Mein Großvater war verrückt.«
    »Der, den ihr Nonno nennt?«
    »Nein, das war der Italiener, der Vater meines Vaters. Der Verrückte war der Portugiese, der Vater meiner Mutter. Der ist immer von zu Hause weggelaufen, war tagelang verschwunden, hat sich volllaufen lassen und dann auf offener Straße gesungen. Meine Mutter hat sich sehr für ihn geschämt.«
    Einer der Kneipengäste verließ torkelnd das Lokal. Kurz darauf der andere. Der weißhaarige Mann blieb am Tresen stehen. Er trank ein durchsichtiges Getränk. Paulo vermutete, dass es Zuckerrohrschnaps war.
    »War euer verrückter Opa oft bei euch zu Besuch?«
    »Der Portugiese? In São Paulo hat er bei uns gelebt. Als mein Vater dann ins Landesinnere versetzt wurde, hat meine Mutter ihn zu ihrer Schwester nach Rio geschickt. Dort ist er gestorben. Woran, weiß ich nicht mehr. Ich weiß auch nicht mehr, wie er hieß. Ich glaube, Vicente. Aber ich habe ihn nur Vô genannt. Einmal hat er mich mit ins Viertel genommen.«
    »Was? Ins Rotlichtviertel?«
    »Genau. Mein Mutter hat getobt, als sie es erfahren hat.«
    »Waren sie nackt?«
    »Die Nutten? Das weiß ich nicht mehr. Ich war noch klein.«
    »Du weißt nicht mehr, ob die Frauen nackt waren?«
    »Nein, ich glaube, sie waren nicht nackt.«
    »Tja …« Paulo seufzte. »Wahrscheinlich waren sie’s nicht. Wenn du eine nackte Frau gesehen hättest, hättest du es nicht vergessen.«
    Der Wirt begann, die hohen Holztüren der Kneipe von außen zu schließen. Der Alte kam heraus. Sie machten sich bereit, ihm zu folgen, aber er ging nur bis zu einer der Bänke auf dem Platz, ließ sich darauf nieder und zog ein kleines Heft aus der Innentasche seines Jacketts. Er blätterte ein wenig darin herum, las, machte sich

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