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Der letzte Tag der Unschuld

Der letzte Tag der Unschuld

Titel: Der letzte Tag der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edney Silvestre
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Fabriktor auf Sie gewartet, um …«
    »Eine Schrottmühle. Zieht nicht an, unkomfortabel, mies verarbeitet.«
    »Doutor Geraldo, als Anwalt der Familie von …«
    »Unbequem. Wie alle in Brasilien gebauten Wagen.«
    »Ich hatte nie ein Auto. Aber wie ich bereits sagte …«
    »Veraltet.«
    »Die Angelegenheit, die ich mit Ihnen zu besprechen habe, betrifft …«
    »Ich habe einen Oldsmobile und einen Mercury in der Garage stehen. Seit dieser Demagoge Juscelino Kubitschek 1958 den Import ausländischer Wagen verboten hat, kriegt man keine Ersatzteile mehr.«
    »Das Verbot sollte die einheimische Industrie schützen. Aber der Grund, warum ich Sie aufgesucht habe, ist …«
    »Ich wurde gezwungen, diesen Mist zu kaufen. Wem nützt dieser Protektionismus?«
    »Die Produktion von Autos in Brasilien hat Tausende Arbeitsplätze geschaffen. Doutor Geraldo, ich würde gerne mit Ihnen über …«
    »Welcher vernünftige Mensch würde wohl eine Fabrik von Renault, Volkswagen, Alfa-Romeo, Mercedes-Benz oder Ford als einheimisch bezeichnen?«
    »Zahllose Menschen aus dem Nordosten haben auf der Flucht vor der Armut …«
    »Arbeit gefunden? Um noch elender in den Randgebieten der Städte dahinzuvegetieren? Um immer neue, immer größere Favelas zu errichten? Und wozu das Ganze? Damit hier Automodelle gebaut werden, die im Ausland längst veraltet sind. Der Import guter Wagen wurde eingetauscht gegen den Import überholter Technologie.«
    »Die Textilfabriken profitieren ebenfalls vom Protektionismus.«
    »Das macht keinen Unterschied. Wir brauchen ihn nicht.«
    »Alle Industrien armer Länder sind auf Protektionismus angewiesen. Wir können den Dumpingpreisen der kapitalistischen Staaten nur etwas entgegensetzen, wenn wir …«
    »Ich verkaufe Jeansstoff in alle Welt, auch in die Vereinigten Staaten. Meine Fabrik wurde im letzten Jahrhundert erbaut. Die ersten Webstühle haben wir aus England importiert. Mit unserem Geld. Brasilianischem Geld. Wir haben aus Sklaven, die weder lesen noch schreiben konnten, die von ihren Herren verlassen worden waren, Facharbeiter mit Lohn und festem Arbeitsvertrag gemacht. Wir haben sie ausgebildet, zahlen ihnen Urlaub, den Zahnarzt, den Arzt. Wir haben Menschen im Landesinneren gehalten, die ansonsten die Elendsgebiete der Küstenstädte vergrößern würden. Das ist etwas völlig anderes, als sich vollständig von ausländischem Kapital abhängig zu machen. Sie sind nicht von hier.«
    »Wie bitte?«
    »Man hört, dass Sie aus dem Nordosten kommen. Vermutlich aus Pernambuco oder so. Wenn Sie von hier wären, wüssten Sie, wie das in dieser Stadt läuft, dann müssten Sie nicht zu mir kommen. Jeder weiß, was dieses Flittchen getrieben hat.«
    »Sie haben …« Der Alte suchte nach den richtigen Worten, um seinen Köder auszuwerfen. »Anscheinend waren Sie … waren Sie mit Dona Anita ein wenig näher bekannt als die anderen.«
    »Wer diese Frau nicht kannte, war selber schuld.«
    »Offenbar hatte sie eine Vorliebe für …«
    »Sie hatte keine Vorlieben. Sie war für jedermann jederzeit zu haben.«
    Der Alte spürte, wie ihm übel wurde.
    »Hat ihr Ehemann sie deshalb getötet?«, fragte er und versuchte, seine Übelkeit zu unterdrücken.
    »Francisco Andrade?« Die Stimme des Mannes klang abfällig. »Francisco Andrade soll diese Frau getötet haben? Erstochen?«
    »Das glaubt zumindest die Polizei: Er ist …«
    »Er hat gestanden, da mussten sie ihn verhaften. Jeder Rechtsanwalt wird ihn da wieder rausholen, wann immer er will. Er ist ein Angeklagter erster Klasse. Es handelt sich um einen Ehrenmord. Der Mann verkehrt in den besten Kreisen. Ist mildtätig. Jeder arme Teufel, dem Doktor Andrade kostenlos einen Zahn gezogen oder dem er ein Gebiss spendiert hat, wird zu seinen Gunsten aussagen. Ein guter Mensch, ein Opfer der Umstände. Und einer Frau, die keinen Funken Anstand besaß. Jedes Geschworenengericht wird ihn freisprechen.«
    »Die unglaubliche Brutalität, mit der diese Frau …«
    »Ich bitte Sie! Irgendein Irrer hat dieses Flittchen umgebracht und ist dann verschwunden. Ein Fremder. Ob mit Geständnis oder ohne, die ganze Stadt weiß, dass Doktor Andrade sie ganz bestimmt nicht getötet hat. Er wird schon bald wieder nach Hause gehen können. Und noch dazu ist seine Ehre reingewaschen. Durch die Tat eines anderen.«
    Der Alte wandte das Gesicht ab. Erst jetzt bemerkte er, dass es regnete. Die Scheibenwischer fegten dicke Tropfen von den Scheiben. Man konnte kaum etwas

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