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Der letzte Tag der Unschuld

Der letzte Tag der Unschuld

Titel: Der letzte Tag der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edney Silvestre
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es ein Kopfkissen für den Jungen gab? Eine Decke? Dona Madalena hatte keine Decke gehabt. Doch. Eine schmutzige, graue, alte Decke, aber sie hatte eine gehabt. Sie hatte bei ihren Füßen gelegen. Wie konnten sie in diesem Elend hausen, wo doch ihre Enkelin, Anita, oder besser gesagt Aparecida, mit einem Zahnarzt verheiratet gewesen war? Die hätte doch irgendwas für ihre Großmutter tun können, oder? Sie hätte ihr ein wenig Geld geben können. Ein zweites Bett. Eine zweite Matratze. Ein Laken, einen Kissenbezug, eine Decke. Etwas. Irgendetwas. Ganz egal, was. Sie hätte ihrer Großmutter helfen können, nicht wahr? Sie hätte ihr …
    Wieder blitzte es draußen. Der gleich darauf folgende Donner ließ die Fensterscheibe erzittern. Das unablässige Rauschen des Regens beherrschte die Nacht.
    Vielleicht hatte Anita nicht helfen können. Aparecida. Sie hatte nichts besessen. Nicht einmal einen Ring. Vielleicht hatte der Zahnarzt nicht erlaubt, dass Anita – Aparecida – ihrer Großmutter half. Vielleicht hatte Aparecida nicht helfen wollen. Vielleicht war sie wütend auf ihre Großmutter gewesen oder so.
    Nein. Niemand kann einer schwachen Großmutter böse sein. Einer kranken, bettlägerigen Großmutter. Oder doch? Weil sie nicht verhindert hatte, dass das Kind ins Waisenhaus gekommen war? Weil sie nichts unternommen hatte, als der Senator Elza geschwängert hatte? Oder war Anita wütend gewesen, weil Madalena schwarz war und Anita so getan hatte, als wäre sie weiß? Hatte Anita so getan, oder hatten die anderen entschieden, dass aus der Mulattin Aparecida die Weiße Anita werden sollte? Welche anderen? Hatten sie ihr verboten, ihre Großmutter zu sehen? Und den Bruder? Hatte sie sich für sie geschämt? Oder für sich selbst? Dafür, dass sie zur Stadthure geworden war? Hatte Aparecida überhaupt gewusst, dass sie eine Großmutter und einen Bruder hatte? Von ihrem Bruder hatte sie wissen müssen. Denn wenn Renato von ihr wusste, wenn er wusste, dass Anita seine Schwester war, nein, dass Aparecida seine Schwester war, dann musste auch Anita, nein, Aparecida wissen, dass sie einen Bruder hatte. Und eine Großmutter. Oder nicht?
    Verdammt! Er hatte sich verzählt. Jetzt musste er wieder ganz von vorne anfangen. Ein Fuß, zwei, drei …
    Paulo sah seinem Bruder zu, der vor dem Spiegel stand und sich zum x-ten Mal die Haare kämmte. Er hatte kräftig Brillantine hineingerieben und versuchte nun vergebens, sie zu glätten. Ein Wirbel am Hinterkopf widersetzte sich hartnäckig der Zähmung.
    »Gehst du aus, Antonio?«
    »Ja.«
    »Bei diesem Regen?«
    »Der hört bald auf. Mauro, Zé Paulo und ich nehmen uns Mauros Dienstmädchen vor.«
    »Das Dienstmädchen?«
    »Mauro hat sie schon gefickt. Und er hat ihr gesagt, wenn sie es nicht auch mit uns macht, erzählt er ihren Eltern, dass sie eine Schlampe ist.«
    »Wie viel nimmt sie denn?«
    »Gar nichts nimmt sie, Schwarzer! Sie haben sie vom Land geholt, damit sie bei ihnen arbeitet. Sie kann nirgendwo anders hin. Ich werde ihr Hinterteil bearbeiten. Bis es zerreißt.«
    »Wie alt ist sie?«
    »Vierzehn oder fünfzehn. Sie ist noch Jungfrau, lässt sich bloß in den Hintern ficken.«
    Endlich hatte der Wirbel nachgegeben. Jetzt legte Antonio sorgfältig eine Tolle und ließ sie in die Stirn fallen, um wie James Dean auszusehen, wie ein Rebell, dem sein Äußeres völlig gleichgültig war.
    »Und wenn sie nicht will?«
    Antonio steckte den Kamm in die hintere Hosentasche und bedachte sein Spiegelbild mit einem langen, zufriedenen Blick.
    »He, Antonio! Was ist, wenn sie nicht will?«
    »Ich habe dir doch schon gesagt, sie ist das Dienstmädchen.«
    »Aber vielleicht will sie nicht.«
    »Dann nehmen wir sie mit Gewalt und schlagen sie windelweich.«
    Er rollte die Hemdärmel so weit auf, dass die vom Hanteltraining geschwollenen Bizepse zur Geltung kamen. Dann drehte er sich zur Seite, um sein Profil betrachten zu können, und rückte mit gewölbter Hand seinen Hosenlatz zurecht.
    Die Welt sollte sehen, was sich Gewaltiges darin verbarg.
    »Er steht mir schon fast«, verkündete er voller Vorfreude.
    Unablässig prasselte der Regen gegen die Fensterscheiben und übertönte das Schnarchen, Husten und Stöhnen der anderen alten Männer.
    Obwohl er erschöpft war, fand er keinen Schlaf. Er wälzte sich unter der Decke hin und her. Seine Augen brannten. Seine Gelenke, Muskeln, Krampfadern schmerzten. In seinem Kopf hämmerte es. Der ätzende Geschmack hielt sich

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