Der letzte Tag: Roman (German Edition)
von Irvine für Schwachsinn. Behaupten, er hätte sich das alles ausgedacht.« Sie schüttelte den Kopf, zog heftig an ihrer Zigarette und stieß zornig den Rauch aus. »Hat er aber nicht. Das meiste, was Bridgette und ich ihm erzählt haben, hat er genauso aufgeschrieben. Aber es klingt so verrückt, dass viele Menschen es einfach nicht akzeptieren können. Und vieles von dem, was ich ihm erzählt habe, hat er nicht benutzt. Weil es noch verrückter war.«
»Könnten Sie uns ein paar Beispiele geben?«
Martha lächelte ihn listig an. »Dazu kommen wir noch. Aber wie ich Max schon sagte, Sie müssen das Gesamtbild sehen. Sonst macht das alles überhaupt keinen Sinn.«
»Natürlich.«
»Ihr Filmleute seid alle gleich.« Sie lächelte wieder. »Wie ich schon sagte, Irvine war einer, der sich mit Verbrechen beschäftigte. Ein Reporter. Gerichtsberichterstatter. Kannte sich mit Polizeiarbeit aus. Er wollte die Hintergründe der Morde aufklären. Die Drogengeschichten, die Entführungen, die Vergewaltigungen. So ein Zeug halt. Das, was man vor Gericht verhandelt. Er wollte, dass möglichst viele das Buch lesen, es sollte ein Bestseller werden, so wie das über Charles Manson. Manches, was ich Irvine erzählt habe, hat er nie verwendet. Weil er’s nicht geglaubt hat, deshalb. Er dachte, wir hätten uns das alles ausgedacht, weil wir die ganze Zeit auf Drogen waren. Komisch, dass die Leute mich jetzt auf einmal danach fragen.«
»Wer denn alles?«
Martha lächelte und entblößte dabei ihre vergilbten Zähne. »Deshalb wollen Sie auch gleich auf den Punkt kommen,
stimmt’s? Max hat mir schon gesagt, dass er nur darauf aus ist. Ich soll von diesen anderen Sachen erzählen.«
Kyle unterdrückte den Wutanfall, der ihn erfasste. Das war nicht das erste Mal, dass er sich fragte, wer bei diesem Film eigentlich Regie führte. Er räusperte sich. »Dann sind diese beiden Aspekte also nicht voneinander zu trennen: Katherines wahnhafte Ideen und die seltsamen Vorkommnisse rund um die Sekte?«
Martha grinste ihn an: »Schlauer Junge.« Sie lachte in sich hinein, und das Kichern wurde zu einem feuchten Husten. »Max ist Ihnen auf die Füße getreten, ich merke das schon. Er ist genau der Typ dafür. Hat mehr Geld als Verstand, wenn Sie mich fragen. Aber genau das habe ich Max gesagt: Du kannst das eine nicht ohne das andere haben. Katherine steckte hinter allem. Sogar wenn sie nicht anwesend war, war sie doch da, falls Sie wissen, was ich meine. Sie wusste alles, weil wir ihr alles erzählten, auf die eine oder andere Art. Jeder war zu irgendeinem Zeitpunkt ihr Spion. Und wenn wir mal was ausplauderten, wenn sie nicht da war, dann haben die Sieben es ihr gleich gesteckt.«
Martha schaute nachdenklich auf ihr Feuerzeug, mit dem sie herumspielte. »Im Laufe der Zeit ist mir klar geworden, dass wir alle Teil eines Plans waren, der schon zu Beginn in Los Angeles geschmiedet war. O ja. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon genaue Pläne. Vielleicht schon früher. Das würde mich auch nicht überraschen. Sie hat uns Dummköpfe dort in die Wüste gelockt und uns wie Hunde abgerichtet. Aber wofür? Das war etwas, das wir alle gern gewusst hätten. Ich glaube, sie hat uns nie reinen Wein eingeschenkt, erst ganz am Schluss. Aber da war ich Gott sei Dank schon nicht mehr dort, um es mit ansehen zu müssen. Wir wurden die ganze Zeit dort festgehalten wegen etwas ganz anderem. Darüber gibt es für mich keinen Zweifel. Nämlich genau wegen dieser Sache, an der Max so interessiert ist.«
Kyle nickte erleichtert und auch, um ihr Anerkennung für ihre Ideen zu signalisieren. Schmeicheln musste er ihr nicht, das war
nicht nötig. Das Interview war für sie womöglich eine nostalgische Reminiszenz an die turbulente Zeit, als sie in Zeitschriften abgebildet und im Fernsehen interviewt wurde. »Andere, die sich mit der Sekte beschäftigt haben, sprachen vor allem von dem immensen Reichtum von Schwester Katherine und davon, dass sie ihre Anhänger wie Sklaven hielt … »
»Sie hat Millionen von Schwester Urania bekommen, dieser englischen Dame. Aber es war eine Sache, das zu besitzen, was uns gehört hatte, und eine andere, uns zu besitzen. Uns von der Außenwelt abzuschirmen. Sie benutzte das, um uns von allem zu trennen, was einmal unser Leben ausgemacht hatte. Sie löschte aus, was wir einmal gewesen waren. Dann nahm sie uns unsere Freiheit. Alles, was irgendeinen Wert hatte, nahm sie uns weg. Sie hat uns praktisch nackt ausgezogen. Und
Weitere Kostenlose Bücher