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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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Sprache gebracht. Sie hockten in ihrem Zimmer und fühlten sich unwohl. Sie hatten Angst vor dem, was als Nächstes passieren würde. Beide spürten, dass die Sache noch nicht zu Ende war. Sie schienen gerade genug begriffen zu haben, um in eine Angelegenheit hineingezogen zu werden, deren schreckliche Auswirkungen sie nicht verstanden.
    Kurz nach dem letzten Interview war seine Faszination für diese Sektengeschichte in eine tief gehende Abneigung umgeschlagen, und das merkwürdige, ärgerliche Verhalten von Max verstärkte seine Wut noch. Jetzt, wo die Dreharbeiten beendet waren, kam es ihm vor, als blühten seine Ängste und seine Bestürzung und der Schrecken erst richtig auf. Das Organisieren der Dreharbeiten, das Reisen, Filmen und Schneiden, genauso wie seine Träume von den großartigen Möglichkeiten dieses Films, hatten ihn bislang davor bewahrt, sich diesem Wahnsinn vollkommen auszuliefern. Die Auswirkungen seiner grauenerregenden Beobachtungen waren überhaupt noch nicht voll zum Tragen gekommen. Das wurde ihm jetzt erst bewusst. Und es schien längst zu spät, sich an einen vertrauten Ort zurückzuziehen, um den Folgen aus dem Weg zu gehen. Typisch. Er hatte sich dem Projekt uneingeschränkt hingegeben und nicht weiter darüber nachgedacht, was das bedeutete. Instinktiv, weil die Geschichte einfach zu gut war. So gut, dass er das Gefühl hatte, einen bleibenden Schaden erlitten zu haben.
    Jede Information über diesen Fall, die er in Büchern gelesen oder recherchiert hatte, war in seinem Gehirn abgespeichert und
konnte jederzeit abgerufen werden, aber das alles wog inzwischen so schwer, dass er das Gefühl hatte, niedergedrückt zu werden. In den Flugzeugen, den Hotelzimmern und in seiner Wohnung hatte er alles gelesen und angeschaut, das ihn irgendwie mit den Kulten der Sechziger- und Siebzigerjahre vertraut machen konnte, um die Sekte von Schwester Katherine richtig einordnen zu können. Die Beschäftigung mit diesem Thema war nicht sehr erfreulich gewesen. In zwei Wochen hatte er sich bis zum Überdruss vollgestopft mit Informationen über ausgefuchste Soziopathen, heimtückische Narzissten, Mörder, Sadisten, Vergewaltiger, Gewaltverbrecher, alberne Heilsbringer und absurde Propheten. Das Ganze hatte er kombiniert mit Aufgekratztheit, zu viel Nikotin, zu wenig Schlaf, schlechtem Essen und reichlich Alkohol. So was konnte nicht gut gehen. Kein Wunder, dass er Albträume hatte. Und Halluzinationen. Diese Dinger an der Wand. War ja klar, dass das irgendwann so kommen musste.
    In der kommenden Nacht, nahm er an, würden ihn wieder diese unruhigen und schauderhaften Träume plagen, die er seit der Normandie hatte. Und wenn er wieder zu Hause in seinem eigenen Bett war, was dann? Würde er dann normal schlafen können? Wenn ja, wann? Schlaftabletten und ein Psychotherapeut: Vielleicht lief es darauf hinaus. Er fragte sich, ob das, was er über den Tempel der Letzten Tage erfahren hatte, sich auf irgendeine Art mit seinen unerfüllten Ambitionen, seinen Ängsten und Enttäuschungen verband und ihn nun quälte. Es war ihm vorher nie bewusst geworden, aber jetzt hatte er auf die harte Tour gelernt, dass er offenbar nicht rechtzeitig merkte, wann er die Notbremse betätigen musste. Gab es überhaupt noch irgendwas, das er mit der gleichen peniblen Hingabe filmen konnte?
    Um zehn Uhr abends klappte er den Laptop zu und suchte die von Max’ Lampen grellweiß beleuchteten Wände ab. Das hatte er sich inzwischen angewöhnt.
    Dan war im Nebenzimmer und packte die Geräte zusammen.
Anschließend kam er in Kyles Zimmer zurück und ließ sich in den Sessel vor dem Fernseher fallen. Ganz langsam aß er die Pommes frites aus der Tüte in seiner Hand und knabberte an den gebackenen Hühnchenteilen, die er aus der Pappbox auf seinem Schoß fischte. Kyle hatte sein Essen nicht angerührt. Er starrte in den Spiegel an der Wand gegenüber vom Fußende des Betts und drehte den Verschluss der Flasche Wild Turkey auf. Zwei eingedrückte Bierdosen lagen auf dem Nachttisch. Seine blutunterlaufenen Augen waren von tiefen Ringen umgeben. Er sah aus, als hätte man ihn verprügelt. Dieses Gesicht hatte er, seit er mit Max zusammengetroffen war. War das ein Zufall? Bestimmt nicht.
    Er leerte das Glas in einem Zug. Ohne Dan anzuschauen, begann er zu sprechen, inmitten dieses Zimmers, das so grell erleuchtet war wie ein Solarium. Es war vor allem ein Selbstgespräch: »Weißt du, Sharon Tate war im achten Monat schwanger, als sie von

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