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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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verstorbenen Sektenführerin befand. Das war ja völlig absurd. Immerhin hatten das bisschen Schlaf und der Versuch, einen der Blutsfreunde dingfest zu machen, wieder einen Funken Vernunft in seinem Gehirn zum Glimmen gebracht. Was hatte er sich die ganze Zeit über bloß gedacht?
    Die dünne Gestalt, die in seiner dunklen Wohnung gewütet hatte, während er auf dem Fenstersims gehockt hatte, fiel ihm wieder ein. Der Film. Der Film. Denk doch mal an den Film. War er nicht deswegen hier? Er konnte sich nicht mehr so recht erinnern. In seiner verwüsteten Wohnung hatte er die Kamera ausgepackt und ein Postskriptum aufgenommen und auf den PC geladen. Der Computermonitor war zerstört, aber das Gerät selbst funktionierte noch. Die Rohschnitte waren allesamt hochgeladen. Finger Mouse arbeitete wahrscheinlich schon seit zehn Stunden daran. Aber Max hätte nie erwähnen sollen, dass es noch eine letzte Szene geben sollte. Das hatte sich in sein Gehirn eingebrannt. Kyle wollte sich retten. Und das Kind auch. Er wollte Dan rächen. Dan. Denk lieber nicht an Dan. Aber er konnte nicht leugnen, nicht einmal jetzt, von der Furcht angetrieben zu werden, dass er den grandiosesten Höhepunkt in der Geschichte des Dokumentarfilms, der hier auf ihn wartete, verschenken würde.
    Nach dem, was er im Badezimmer beobachtet hatte, war das auch kein Trost. Die allzu bekannte Spirale aus Zweifel, Schuldeingeständnis, schlechtem Gewissen und nackter Angst begann sich wieder zu drehen. In London hatte er sich gefragt, ob er sterben würde, wenn er einfach nur zu Hause blieb. Woher würde er wissen, wann sie das nächste Mal kamen? Denn sie würden ja kommen, die Blutsfreunde kamen immer wieder. Sie würden ihn finden, egal wo er sich versteckte, und ihn so lange verfolgen, bis er zu müde war, um weiter davonzulaufen. Genau wie Martha Lake und Bridgette Clover würde er flüchten, um ein wenig Raum zu gewinnen. Hatte er sich das nicht in dem Taxi nach Heathrow und anschließend in der ersten Klasse des Flugzeugs ausgemalt, bevor er eingeschlafen war? Aber jetzt war er hier, und der Gedanke, die Verbindung zwischen einem menschlichen Wesen und diesem Unvorstellbaren zu kappen, nahm ihm jeden Mut und alle Kraft. »Herr im Himmel.« Kyle warf sich aufs Bett und vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich bin fertig. Ich
habe keine Lust mehr auf diesen Scheiß. Ich kann einfach nicht mehr …«
    Max warf ihm einen Blick zu. »Wollen Sie uns etwa damit alleinlassen? Kommen Sie schon, Kyle, es gibt niemanden mehr sonst. Niemand ist noch da, nur Sie, ich und Jed. Und gemeinsam sind wir stark. Meinen Sie nicht?«
    »Reiß dich lieber zusammen, Spielberg. Wenn du morgen zusammenklappst, dann mach ich dich fertig, darauf kannst du Gift nehmen. Vergiss das nicht.«
    Das Zimmer schien sich um Kyle zu drehen wie ein Karussell, dann kam es zitternd zum Stehen. »Max!«, rief er. »Haben Sie das gehört? Diese beschissene Witzfigur hat mir gedroht …«
    Weiter kam er nicht. Es gelang ihm noch nicht mal, die Hände rechtzeitig hochzureißen, um Jeds Angriff abzublocken. Er prallte nach hinten aufs Bett. Ein Daumen drückte so fest in seine Handfläche, dass er wie ein Hund aufjaulte. Eine schweißnasse, schwielige Pranke drückte seinen Kopf auf die Matratze. Ein Knie, auf dem das ganze Gewicht des Mannes lag, drückte so heftig gegen seinen Solarplexus, dass die Rippen beinahe nachgaben. Es fehlte nicht viel, und sie wären laut knackend zerbrochen.
    Ihm wurde beinahe schwarz vor Augen. Über sich sah er Jeds grinsende Fratze und zwei Augen, die nicht im Geringsten amüsiert waren. Sie leuchteten mit sadistischer Begeisterung hinter den harmlos wirkenden ovalen Brillengläsern. »Hör zu, Spielberg. Ich kann dich morgen da nicht wie ein Baby reintragen, okay?«
    »Jed, Jed, bitte«, rief Max vom Tisch aus, machte sich aber nicht die Mühe aufzustehen, während Jed mit seiner Folter fortfuhr. Genau das war es nämlich: Folter.
    »Es wird Zeit, dass du dich aufraffst, Spielberg. Hast du verstanden? Sei ein Mann, du Jammerlappen. Bisher hast du nichts weiter getan, als dir in die Hosen zu scheißen und rumzunerven. Wir werden uns morgen ins Gefecht stürzen, und das wird kein
Zuckerschlecken, damit solltest du dich jetzt schon mal abfinden. Wir werden dieses Scheißding fertigmachen, und das Licht von Jesus Christus, dem Allmächtigen, wird uns den Weg weisen. Wir werden diese dreckigen Teufel zurück in die Hölle schicken, hast du das verstanden? Und du

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