Der letzte Tag: Roman (German Edition)
einen tollen Film zusammen.«
»Glaubst du ihr?«
Dan zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Solche Sachen sind in den Sechzigern massenweise passiert. Selbst ernannte
Heilsbringer, Gurus, die ihren Anhängern das Geld aus der Tasche ziehen. Und die ganz großen Nummern gondeln in Limousinen zusammen mit den Beatles herum und tragen eine Rolex am Handgelenk. Die hatte es faustdick hinter den Ohren, diese Schwester Katherine. Ich meine, ihre Jünger liefen da draußen rum wie Wachturm -Verkäufer in Horrorfilm-Kostümen, und sie geht los und kauft sich was Schickes in der Boutique.«
Kyle lächelte. Er streckte sich auf dem Parkettboden aus, um seine Glieder zu entspannen, nachdem er den ganzen Tag die Tonangel mit dem Mikro gehalten hatte. »Und was ist mit diesen Erscheinungen? Max sagte doch, wir sollten uns vor allem darauf konzentrieren.«
»Blödsinn.«
Kyle lachte auf. »Meinst du wirklich?«
»Na klar, auf jeden Fall.«
»Mir hat’s gefallen. Das war schräg. Ganz schön schräg.«
»Trotzdem Blödsinn. Jede Wette, dass die Joints geraucht haben so dick wie kubanische Zigarren. Und wahrscheinlich haben sie Mandrax ohne Ende geschluckt. So war das damals in den Sechzigern.«
Nicht hier. Das kam erst später. Irvine Levine behauptete, die Sektenmitglieder hätten vor ihrer Zeit in Kalifornien keine Drogen genommen, erst in der zweiten Diaspora, als sie ihren Namen in ›Tempel der Letzten Tage‹ änderten. Aber Levine hatte sich in seinem Buch nicht mit dem mystischen Aspekt und den ›Erscheinungen‹ beschäftigt, ihn hatten nur die kriminellen Aktivitäten interessiert, in die Schwester Katherine und ihre Anhänger später verstrickt waren.
Dan schaltete den Laptop aus. »Und was nun, Chef?«
»Kneipe. Essen.«
»Gute Idee.«
»Es gibt ein Pub namens The Prince of Wales zwei Straßen weiter. Hab ich gegoogelt.«
»Ich bin dabei. Kommen wir dann noch mal zurück und bringen hier alles zu Ende?«
Kyle sah Dan fragend an. »Meinst du? Wir haben das Haus doch auch noch morgen zur Verfügung.«
»Wir sollten so viel wie möglich heute erledigen. Ich muss morgen zu dieser Taufe. Das kann den ganzen Tag dauern. Und dann hab ich nächste Woche noch ein paar Tage für Reel Store zu tun, deshalb würde ich morgen Abend ganz gern früh ins Bett gehen. Außerdem muss ich noch alles Mögliche zusammensuchen, bevor wir uns auf den Weg nach Frankreich machen.«
»Die Tickets für die Fähre hab ich schon.«
Dan nickte. »Und Bruder Gabriel steht auch bereit?«
»Ja, allerdings hat der weder E-Mail noch Handy.«
»Echt? Der lässt sich seine Nachrichten wohl von den Erscheinungen durchgeben.«
»Er hat einen Festnetzanschluss, ich hab ihn angerufen und ihm mitgeteilt, dass wir ihn am Donnerstag abholen.«
»Hast du ihm auch gesagt, dass ich im Auto keine Erscheinungen haben möchte?«
Kyle lachte. »Verdammt, das hab ich total vergessen.«
Als sie sich auf den Rückweg zu dem Haus an der Clarendon Road machten, war die Sonne schon untergegangen und die Stadt belebte sich, denn es war Samstag. Herausgeputzte Passanten waren auf dem Weg zu Partys und Restaurants in Notting Hill und Holland Park, überall wurde der graue Abend von aufblitzenden kurzen Röcken, weiblichem Gelächter und dem kraftvollen Aufjaulen von Automotoren und dem heiseren Grollen der großen Taxis belebt.
»Ganz schön schick.«
»Kann man wohl sagen.«
»Hier sieht’s jedenfalls nicht nach wirtschaftlichem Niedergang aus.«
»Na komm, die richtig Reichen wagen sich nicht über die Grenze von Shepherds Bush.«
Die Clarendon Road, die am Rand von Notting Hill vorbeiführte, lag bereits im Zwielicht. Je weiter sie sich von dem Pub entfernten, umso mehr verschwanden die typischen Stadtgeräusche in der Ferne: Martinshörner, laute Stimmen und das gelegentliche, unpassende Dröhnen von Bollywood-Soundtracks, wenn die stillen und noblen Fassaden der Clarendon Road die Geräusche aus anderen Ecken der Stadt reflektierten.
Dan rülpste. »Was glaubst du wohl, wie teuer die Häuser hier sind?«
»Ich hab mal eine Anzeige von einem Makler in der U-Bahn gesehen, da wurde eins für fünf Millionen angeboten.«
»Die müssen ja ganz schön viele Gospel -Ausgaben verkauft haben damals, damit sie die Miete bezahlen konnten.«
»Sie hatte es eben gern großzügig.«
Das Haus lag jetzt im Dunkeln. Kyle fand den richtigen Schlüssel nicht gleich. »Das dritte Bier war eindeutig ein Fehler.«
Dan lachte auf. »Wenn du dir meine
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