Der letzte Tag: Roman (German Edition)
war so dick mit Blut beschmiert, dass wir sofort davon ausgingen, dass es sich um die Mordwaffe handelte. Sah aus wie ein uraltes Messer. Zuerst dachte ich an eine Machete. Mexikanische Drogenhändler benutzen die, deshalb haben wir schon viele zu Gesicht bekommen. Aber als ich näher hinschaute, sah ich, dass es viel länger war. Und viel zu schmal für eine Machete. Und hinter ihm entdeckten wir automatische Gewehre mit Zielfernrohren. Er hätte uns beide locker abknallen können. Aber das tat er nicht. In all den Jahren, die seither vergangen sind, habe ich mich gefragt, warum.«
»Was glauben Sie denn, warum er Sie nicht angegriffen hat?«
»Ich schätze, für ihn war die Arbeit, die er sich für diese Nacht vorgenommen hatte, erledigt.«
Conway wandte sich von der Hütte ab und ging ein paar Schritte weiter. »Wir haben ihn an Händen und Füßen gefesselt und erst einmal auf den Boden gelegt. Genau hier. Hier draußen. Damit wir ihn sehen konnten.« Conway scharrte mit dem Schuh im Staub. »Und ab diesem Moment teilten wir uns auf. Damit wir schneller vorankamen, und weil wir ja den Tatverdächtigen dingfest gemacht hatten. Ich ging los und überprüfte die drei Gebäude auf der westlichen Seite der Mine, und Jiminez ging in die andere Richtung, wo auch noch drei Häuser standen. In diesem da hab ich eine ganze Waffensammlung gefunden.« Conway deutete auf eine verfallene Hütte, die nur noch aus Mauerresten ohne Dach bestand. »Es war abgeschlossen, aber ich hab die Tür
aufgebrochen, und drinnen fand ich genug Waffen, um einen ganzen Krieg führen zu können. Die beiden Hütten dahinter, seitlich davon, waren voll mit Büchern. Ein einziger Titel: Das Buch der hundert Kapitel nannte es sich. Alle in Kartons, als sollten sie an Buchläden ausgeliefert werden.
Drüben auf der anderen Seite fand Jiminez Lager mit Medikamenten und Essen. Und mit Drogen. Zwanzig Gramm Kokain. Ungefähr die gleiche Menge Marihuana und eine große Schachtel mit Kapseln. Das war MDA, wie wir später herausfanden, eine Droge, die damals in Hollywood kursierte. Aus dieser Gegend hier kam das Zeug jedenfalls nicht.«
Conway ging langsam zurück zu der Stelle, neben Bruder Belials Hütte, die er im Staub mit dem Fuß markiert hatte. »Ich ging zurück und sah nach dem Verdächtigen, der immer noch auf dem Boden lag und irgendwas über ›alte Freunde‹ und anderes Zeug vor sich hinbrabbelte. Und als ich auf ihn runterschaute, rief Jiminez mich von der nördlichen Seite des Geländes. Ich sah auf und konnte seine Lampe zwischen den Gebäuden erkennen.«
Conway führte Kyle und Dan weiter über das Gelände. Er blickte starr nach vorn und schien das Geschehen von damals in Gedanken zu rekapitulieren. »Also geh ich dort rüber, und als ich an der Hütte vorbeikomme, wo sie die Drogen aufbewahrten, ruft Jiminez mir zu: ›Hier sind noch vier Tote. Beim Zaun.‹ Diese Lattenzäune da waren 1975 noch nicht so kaputt. Die waren doppelt so hoch und obendrauf hatten sie Stacheldraht befestigt. Damit niemand rauskann, wie die vier Dummköpfe, die nun vor uns auf dem Boden lagen. Sie sahen aus, als hätten sie versucht, über den Zaun zu klettern. Ihre Hände waren von dem Stacheldraht total zerschnitten. Das fiel uns sofort auf. Ihnen allen war in den Rücken geschossen worden, auch in die Beine. Das Verrückte daran war, dass das Haupttor offen stand, als wir ankamen. Also musste derjenige, der hier seine Brüder und Schwestern umgebracht hatte, am Schluss das Tor zum Minengelände aufgeschlossen
haben, bevor er in diese Hütte ging und sich einschloss. Warum hat er das getan? Um die Hunde freizulassen, die wir nie gefunden haben? Einen anderen Grund kann ich mir nicht denken.«
Conway blieb ungefähr acht Meter vor den Resten des alten Lattenzauns stehen und wischte sich mit dem Taschentuch das Gesicht ab. »Jesses. Die vier Leichen hier. Die waren wirklich in einem grauenhaften Zustand. Auf die war geschossen worden, während sie wegrannten, aber dabei war nur einer von ihnen getötet worden. Der Gerichtsmediziner hat aus allen eine Menge Kugeln rausgeholt. Eine Frau hatte drei Stück im Rücken. Alle aus dem Gewehr, das wir in der Hütte beim Täter gefunden hatten, und aus den automatischen Waffen, die drüben am ersten Tatort lagen. Die fanden wir später. Aber Jiminez und ich entdeckten außerdem Bisswunden an den Opfern. In den Gesichtern. Am Hals. Die Schultern waren zerfleischt. Wir dachten natürlich an Hunde. Es sah aus, als
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