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Der letzte Tiger

Der letzte Tiger

Titel: Der letzte Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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Sand und Kies beladene Laster donnerten an Ly vorbei. Der aufwirbelnde Staub brannte in seinen Augen. Die meisten der Motorradfahrer, die unterwegs waren, hatten Tücher um ihre Münder gebunden und große Sonnenbrillen vor die Augen geschoben. Mitfahrenden Kindern hingen kleinmaschige Fliegennetze über den Gesichtern. Ly war froh, ausnahmsweise einmal seinen Helm mit dem Visier aufgesetzt zu haben, das zumindest den gröbsten Dreck von seinen Augen fernhielt.
    Er fuhr schnell. Trotzdem tauchten erst nach eineinhalb Stunden Fahrt die ersten Berge am Horizont auf, und es begann, ländlich zu werden. Zuckerrohr und Mais standen hoch. In den abgeernteten Reisfeldern suhlten sich Wasserbüffel. Bauern boten am Straßenrand frisch geerntetes Zuckerrohr und Orangen feil. Er klappte das Visier hoch. Die Luft war nun klar, und er hatte das Gefühl, wieder durchatmen zu können. Er genoss den Fahrtwind im Gesicht.
    Er fuhr an Fischteichen vorbei, an Heldendenkmälern in Flammenform und an einem Golfplatz. Reisbauernwurden für solche Plätze enteignet – mit dem Argument, nur mit ihnen könnten zahlungskräftige Touristen angelockt werden. Ly konnte allerdings nicht einen einzigen Spieler entdecken.
    In Hoa Binh tankte er noch einmal, bevor er die Straße in die Berge hoch nahm. Der Wald reichte jetzt streckenweise bis an die Straße heran, die ab hier nur noch zweispurig war und sich in Serpentinen die Hänge hinaufschlängelte. Hin und wieder öffnete sich die Landschaft in Hochplateaus, auf denen über weite Flächen niedrige Pflanzen mit lilafarbenen Blüten wuchsen. Vereinzelt gab es terrassierte Reisfelder und Teeplantagen: dunkelgrüne Sträucher, ordentlich in Reihen angepflanzt.
    Je länger er unterwegs war, desto kühler wurde es. Er hatte mittlerweile zwei Pullover und eine Jacke übergezogen und fror immer noch. Vom langen Fahren war sein Nacken vollkommen steif und schmerzte.
    Einmal musste er an einer Straßensperre warten. Am Hang war gesprengt worden, und Bagger stürzten Felsbrocken von weit oben herunter, wobei einige der großen Steine direkt auf die Fahrbahn fielen. Diejenigen, die an der Sperre warteten, sahen gebannt zu, wie die Fahrzeuge am Berg hingen, während Frauen der Muong- und Thai-Minderheiten ihnen Bier, Maiskolben und Klebreis anboten. Den Mais kochten sie in großen Aluminiumtöpfen über offenen Feuerstellen auf der angrenzenden Wiese.
    Eine Frau, die einen Arbeitsoverall trug, bereitete etwas abseits das Abendessen für die Bauarbeiter vor. Ly sah ihr zu, wie sie eine Handvoll Chili und ein wenig Salz in einen Topf warf, Reis dazu schaufelte und den Topf mit Wasser aus einem Bambusgefäß auffüllte.
    Zwei Jungs wollten Ly Orchideen verkaufen, die sie mitsamt ihren Wurzeln von den Bäumen im Wald geholt hatten. Ly lehnte ab und nahm lieber von dem Klebreis, der zusammen mit Kokosraspeln und Kokosmilch in Bambusrohren über einem Feuer geröstet worden war. Er schmeckte köstlich.
    Es war spät, als er endlich weiterfuhr. Im Abendlicht wechselte der Himmel seine Farbe von Golden über Rot zu Violett, und die Baumwipfel, die jetzt bläulich schimmerten, bogen sich im Wind, der mit der Dämmerung aufkam.
    Als Ly schließlich die Abzweigung in einen unasphaltierten Weg nahm, war es dunkel. Wolken waren aufgezogen, was bedeutete, dass es pechschwarz war. Und bis auf das Zirpen der Insekten und das Motorgeräusch seines Rollers war es vollkommen still. Er hoffte, dass er sich nicht verfahren hatte. Eigentlich müsste er bald in Na Cai sein. Von weitem hörte er einen Motor. Ein knatterndes Geräusch wie von einem alten Trecker, das immer lauter wurde. Er vermutete das Fahrzeug irgendwo neben sich im Feld. Doch plötzlich blendeten Scheinwerfer direkt vor ihm auf. Er bremste und versuchte gleichzeitig, dem Fahrzeug auszuweichen. Etwas streifte seinen Arm, und ein stechender Schmerz fuhr ihm durch den Körper. Er stürzte. Um ihn herum wurde es kalt und nass. Er hörte Stimmen und dann ein Motorengeräusch, das sich entfernte.
    *
    Als Ly wieder zu sich kam, lag er auf einem Bett. Es roch nach Holz und Rauch. Sein linker Arm war mit einem gelben Schal verbunden und hing in einer Stoffschlinge,die quer über seine Schulter gebunden war. Ly wollte sich aufsetzen, doch ein Schmerz wie ein Stromschlag schoss durch seinen Körper. Er ließ sich sofort zurücksinken.
    Der Raum, in dem er sich befand, hatte keine Fenster. Nur durch die offene Haustür und die Ritzen in der aus groben Holzlatten

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