Der letzte Tiger
sein nächtlicher Besuch zusätzlich neugierig gemacht.
Bei den Pfahlhäusern der Thai schlugen wieder Hunde an, diesmal sah Ly sie auch. Zwei Schäferhunde, die bis auf wenige Meter an ihn herankamen, sich dann aber nicht weiter näherten. Trotzdem schlug Lys Herz schneller. Diese Hunde waren ihm unheimlich. Er entspannte sich erst, als er oben bei den Hmong war und das Bellen in der Ferne verhallte.
Pao und seinen Sohn fand er im Hof hinter ihrem Haus. Sie waren dabei, die Wasserleitung zu erneuern. Alle paar Meter steckten neue Bambusstangen senkrecht im Boden. Geschickt teilte Xang mit einem großen Messer Bambusrohre, die Pao dann als offene Rinnen waagerecht oben auf den Stäben befestigte. Ly schaute zu. Er hätte gerneseine Hilfe angeboten, doch mit seinem Arm ging es nicht. Nach einer Weile sprach er die beiden noch mal auf Truong an. Das Lächeln, das eben noch in Paos Gesichtszügen gelegen hatte, verschwand.
»Ich weiß, dass Truong kurz vor seinem Tod hier oben war.«
Pao sagte etwas auf Hmong zu seinem Sohn, der daraufhin zu Ly sagte: »Wir können Ihnen nicht helfen.«
»Ich habe übrigens Bang kennengelernt«, sagte Ly an Xang gewandt. »Er hat mir gesagt, er hat Truong im Wald gesehen. Ihr beide wart zusammen unterwegs. Du musst Truong also auch gesehen haben.«
Bevor Xang überhaupt die Chance hatte, etwas zu sagen, hatte Pao ihm eine Ohrfeige verpasst und redete auf ihn ein. Laut und verärgert. Ly hörte mehrmals den Namen Bang heraus. Anscheinend gefiel es Pao genauso wenig wie dem Grenzer, dass die beiden Jungen zusammen unterwegs waren.
»Also?«, fragte Ly.
Pao schlug noch einmal zu. Xang hielt sich die Wange. »Einmal habe ich Ihren Freund gesehen«, murmelte er. »Aber nicht hier. In Laos.«
»In Laos?«, fragte Ly. Er hatte einen Pass bei Truong in der Wohnung gefunden. Aber da war nicht ein Stempel gewesen, der bewies, dass Truong im Ausland gewesen war. »Wie ist er über die Grenze gekommen?«
Pao zeichnete mit einem ausgestreckten Arm einen Halbkreis über die Landschaft vor ihnen. Truong hätte überall rübergegangen sein können.
»Irgendjemand muss ihn doch durch den Wald geführt haben. Wer?«, hakte Ly nach.
»Wissen nicht«, sagte Pao und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Ly fragte sich, was Truong überhaupt in Laos gewollt hatte und wieso er nicht ganz regulär über die Grenze gegangen war. Aber ihm fiel keine sinnvolle Erklärung ein. Dann rief er sich noch einmal Khais Besuch gestern in Erinnerung und sagte: »Pao, ich habe gehört, Sie haben einen Sohn verloren. Das tut mir leid.«
Paos Hände hielten in ihren Bewegungen inne. »Unfall«, sagte er knapp und ohne aufzuschauen, was wohl andeuten sollte, dass er darüber nicht weiter reden wollte. Ly war ratlos. Irgendetwas stimmte hier nicht, das war klar. Ihm fielen die Worte des Hauptwachtmeisters von Na Cai ein. Die Hmong hätten keine Angst vor nichts. Da müsste man die schon erst richtig verschrecken. Es war nur so ein Gedanke, aber konnte es sein, dass Paos Sohn hatte sterben müssen, um die Hmong zu erschrecken? Während Ly noch darüber nachdachte, klingelte sein Telefon. Bang hatte es gestern für ihn im Haus der Baronin aufgeladen. »Hallo?«
»Endlich erreiche ich dich.« Es war Lan. »Ich habe alle Pizzerien durch … Keine hat … eine Lieferung an Truong …«
»Lan, ich höre dich kaum«, schrie Ly in den Hörer.
»Ly, du bist doch nicht …«
Ly legte auf, entfernte sich ein paar Schritte von Pao und seinem Sohn und rief Lan zurück. Diesmal war die Verbindung besser.
»Du bist doch nicht immer noch in den Bergen?«, fragte Lan sofort. »Der Chef erwartet dich heute Vormittag zurück.«
Verdammt. Seine drei Tage waren schon vorbei. Über den Unfall hatte er die Zeit vergessen, er hätte nicht einmal sicher sagen können, wie lange er bei den Hmong gelegen hatte.
»Sieh zu, dass du so schnell wie möglich hier auftauchst«, sagte Lan. »Der Chef will dich unbedingt sehen. Und frag mich nicht, warum. Ich hab keine Ahnung.«
Ly seufzte und erzählte Lan dann in knappen Worten, was sich bei ihm ereignet hatte, wobei er sich noch ein Stück weiter von Pao und Xang entfernte. »Versuch ein paar Informationen über dieses Na Cai hier zu bekommen«, bat er Lan. »Und über die Baronin und diesen Grenzchef.«
»Okay. Aber weswegen ich angerufen habe. Ich habe alle Pizzerien durchtelefoniert. Keine hatte eine Lieferung für Truong. Es hat sich also vielleicht wirklich jemand in seine Wohnung
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