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Der letzte Tiger

Der letzte Tiger

Titel: Der letzte Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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ja nicht allzu groß.«
    »Da haben Sie leider recht.« Sie drückte ihm eine Flasche Import-Bier in die Hand. Pilsner Urquell . »Oder möchten Sie lieber etwas Stärkeres?«
    »Bier ist gut, danke«, sagte Ly.
    Die Baronin füllte Ly von den Speisen, die auf dem Beistelltisch standen, etwas in eine Schüssel. »Frittierte Waldkrebse, Baumpilze in Speck, mit Ingwer und Waldhonig gegrilltes Schwein. Bitte, essen Sie.«
    Ly aß mit Appetit und vor allem mit Hunger. Er nickte anerkennend, es schmeckte wirklich gut. Die Baronin wies mit der Hand in die Runde. »Hauptwachtmeister An Phan kennen Sie ja bereits.« Der Reihe nach zeigte sie auf den Postchef, den Schlachter, den Vorstand des Dorfkomitees und auf zwei Männer, die, wie sie sagte, für den Staat arbeiteten. Eine Berufsbezeichnung, die alles bedeuten konnte. Einer der beiden Männer fiel Ly besonders auf. Dieser selbstsichere Blick, mit dem er Ly direkt und ohne eine Regung im Gesicht ansah. Sicherlich ein Militär.
    Der Junge, der Ly die Einladung überbracht hatte, war auch da. Er schien so etwas wie ein Laufbursche zu sein.Er saß im Hintergrund, holte hin und wieder neue Bierflaschen und Eis und brachte die Karaokeanlage wieder in Gang, als sie einmal abstürzte.
    »Die ganze Dorfprominenz ist da«, rief Hauptwachtmeister An Phan schon etwas lallend. »Nur Khai fehlt.« Er setzte eine imaginäre Flasche an den Mund, trank sie mit gluckernden Schlucken leer und simulierte einen Schluckauf. Die Männer lachten.
    »Khai leitet hier die Forstbehörde«, sagte die Baronin.
    Das hört sich wichtig an, dachte Ly und rief sich den Ranger mit der Kordel durch die Gürtelschlaufen ins Gedächtnis.
    Der Dorfpolizist hörte gar nicht mehr auf, über seine Parodie Khais zu lachen. Erst lächelte die Baronin noch wie über einen Jungenstreich, dann sagte sie in scharfem Ton: »Darf ich jetzt weiterreden, Herr Hauptwachtmeister?«
    Der Polizist lief noch röter an, als er es sowieso schon war, und nickte stumm.
    Die Baronin zeigte auf einen Mann mit breiten Schultern, der bislang mit dem Rücken zu Ly gesessen hatte. »Nguyen Duy Cao, unser Grenzchef.« Das musste Bangs Vater sein. Ly zuckte zusammen, als Nguyen Duy Cao sich zu ihm umdrehte. Seine linke Gesichtshälfte war zertrümmert, die Haut rot vernarbt. Über dem Auge trug er eine Lederklappe.
    »So glotzen sie alle«, blaffte ihn der Mann an. Er sprach mit einer knarrenden Stimme. Aus seinem gesunden Auge starrte er Ly kurz an. Dann drehte er sich wieder weg.
    »Es war ein Bär«, sagte die Baronin mit gedämpfterStimme. »Es ist aber schon lange her. Seit Jahren haben wir hier in der Gegend keinen Bären mehr gesichtet.«
    Ly glaubte gerne, dass dieser Mann seinen Sohn verprügeln würde, wenn er wüsste, dass er mit den Hmong in den Wald ging oder dass er sich überhaupt im Wald aufhielt.
    Die Baronin streckte Ly das Mikrophon hin. »Bitte, Kommissar, singen Sie auch einmal.«
    Ly war kein guter Sänger. Er entschied sich für ein einfaches Volkslied, bei dem er die Melodie zumindest einigermaßen traf. Nach ihm sang die Hausherrin, und alle applaudierten. Ly fragte sich, was ihre Rolle in dieser Männergesellschaft war. Sie hatte eindeutig Geld, aber sie strahlte auch eine Autorität aus, die er nicht zuordnen konnte.
    »Bang, los. Es ist spät«, rief der Grenzchef.
    Bang, der die ganze Zeit ruhig in der Ecke gesessen hatte, sprang auf. Er kam noch einmal zu Ly hinüber und reichte ihm die Hand. »Herr Kommissar, wenn ich in Hanoi bin, darf ich Sie mal im Präsidium besuchen?«
    »Sicher, komm einfach vorbei.«
    »Los jetzt, ab nach Hause.« Die Stimme von Bangs Vater hatte einen bedrohlichen Ton angenommen. Nachdem Bang die Tür hinter sich zugezogen hatte, fuhr er Ly an: »Präsidium. Bestärken Sie meinen Sohn bloß nicht in seinen verrückten Ideen. Polizei.« Er schnaubte. »Mein Sohn macht mal was Anständiges.«
    »Cao, lass den Kommissar mit deinem Gerede in Ruhe«, sagte die Baronin.
    »Bereichern sich, wo es geht. Korrupter Haufen«, fuhr der Grenzer fort.
    Ly sah zum Dorfpolizisten hinüber, doch der verzog keine Miene.
    »Es gibt ja hier auch den einen oder anderen, der davon profitiert«, sagte die Baronin mit kühler Stimme. Nguyen Duy Cao verschränkte die Arme vor der Brust, und es entstand ein Schweigen, das die Baronin aber schnell wieder brach. »Wie gefällt Ihnen mein Haus?«
    »Außergewöhnlich.« Ly bemühte sich um ein Lächeln. »Darf ich fragen, in welchem Geschäftszweig Sie tätig

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