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Der letzte Tiger

Der letzte Tiger

Titel: Der letzte Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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echt nicht um diesen Tigerfall gerissen. Das kannst du mir glauben.«
    »Ich weiß. Es tut mir wirklich leid. Es war einfach so …«, er schien nach den richtigen Worten zu suchen, »… so unfair.«
    »War es das? Viel habt ihr ja wirklich nicht herausgefunden«, sagte Ly kühl.
    Tu presste die Lippen aufeinander, nickte, dann sagte er: »Ich will mich nicht verteidigen. Aber der Tiger ist nicht unser einziger Fall. Unsere anderen Fälle interessieren den Chef nur nicht. Die sind nicht ausreichend öffentlichkeitsrelevant.«
    Ly sah seinen jungen Kollegen an und meinte etwas hinter diesem Selbstbewusstsein und der Arroganz zu sehen, das ihm bislang entgangen war. Der Junge war frustriert. Vielleicht waren sie sich in dem Punkt gar nicht so unähnlich.
    Sie setzten das Verhör gemeinsam fort. Tu legte die Fotos aller Tiere und Tierteile, die sie in dem Haus gefunden hatten, vor Le My Lien aus und redete wie ein Anfänger ununterbrochen auf die Frau ein. Immer wieder fielen die Wörter brutal, grausam, Quälerei. Le My Lien starrte nur auf ihre Finger.
    »Die Fotos, schauen Sie sich die Fotos an«, schrie Tu und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
    Keine Reaktion.
    Ly versuchte sich vorzustellen, wie die Frau in diesem Haus an den Gleisen gelebt hatte. Zwischen all den Tieren, in diesem Gestank. Was hatte sie empfunden? War für sie ein toter Tiger etwas anderes als ein totes Schwein? Vermutlich nicht. Tu hatte ihr Quälerei vorgeworfen. Aber das war es doch gar nicht, worum es hier ging. DerHandel mit diesen Tieren war einzig aus dem Grund illegal, weil die Tiere vom Aussterben bedroht waren. Die Schlachtung eines Schweins oder eines Hundes war, was die Brutalität anging, nicht weniger schlimm.
    Sie bekamen an diesem Tag keine weiteren Informationen aus Le My Lien heraus. Das Einzige, was sie noch mehrmals wiederholte, war das Wenige, was sie schon gesagt hatte, bevor Tu dazugekommen war.
    *
    Die schwere Tür der Haftanstalt fiel mit einem dumpfen Knall hinter ihnen zu. In langen Zügen atmete Ly die frische Luft ein.
    »Vermutlich stimmt es, dass dieses Haus an den Gleisen nur ein Lager war«, sagte Tu. »Und wahrscheinlich hat Le My Lien noch ein paar Drecksjobs abbekommen. Tiere füttern, ausmisten, Knochen einkochen. So Sachen.«
    »Wieso bist du dir da so sicher?«
    »Sie wirkt nicht wie eine clevere Geschäftsfrau. Und das muss sie sein, um solch ein Geschäft zu organisieren. Was wir in dem Haus an den Gleisen gefunden haben, deutet auf internationalen Handel hin. Vor allem das Rhino-Horn. Es wird in der Regel aus Südafrika importiert«, sagte Tu.
    »Aus Afrika? Und das lohnt sich?«, fragte Ly.
    »Sie glauben gar nicht, was mit dem Tierhandel verdient wird. Die Gewinne kommen an die des Drogenhandels heran. Nur das Risiko ist viel geringer.« Drogenschmugglern drohte die Todesstrafe. Die Höchststrafevon sieben Jahren für illegalen Tierhandel wurde dagegen kaum je umgesetzt.
    »Wir haben vorbildliche Tierschutzgesetze, so ist es ja nicht«, fügte Tu in zynischem Ton an. Schon 1994 habe Vietnam das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten frei lebender Tiere und Pflanzen unterzeichnet. Es verbiete fast ausnahmslos den Handel mit den vom Aussterben bedrohten Arten. »Das Problem ist nur«, sagte Tu. »Niemand hält sich dran. Wozu auch?« Von der Justiz werde Tierhandel als Kavaliersdelikt behandelt, auch wenn die Gesetzgebung etwas ganz anderes verlangt.
    *
    Draußen war es bereits dunkel, und der Berufsverkehr hatte eingesetzt. Ly hatte mal wieder das Gefühl, dass die vielen Ampeln, die in den letzten Jahren installiert worden waren, überhaupt nichts brachten. Das Chaos auf den Kreuzungen hatte sich nicht im mindesten verringert.
    Bis My Dinh fuhren Ly und Tu nebeneinander, dann bog Tu ab. Er wohnte in diesem neuen, aus dem Boden gestampften Stadtteil: Hochhäuser, Reihenhäuser, breite Straßen mit Grünstreifen, Sportanlagen, Shopping-Malls, Kinos. Ly dachte, dass My Dinh irgendwie zu Tu passte.
    Er selbst fuhr weiter bis in die Altstadt. Hier wurde auch abgerissen und neu gebaut, aber es blieb doch immer eng und etwas gammelig. Er sog den moosigen Geruch der Häuser ein, der sich mit dem von Tigerbalsam, Abfall, Abgasen und Räucherstäbchen mischte.
    Was für ein Tag, dachte Ly. Der Tigerfall, der sich zunehmendverkomplizierte, und die Tatsache, dass er in seiner Ermittlung um Truongs Tod nicht weiterkam, deprimierten ihn. Er hielt vor Minhs bia hoi . Die

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