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Der letzte Tiger

Der letzte Tiger

Titel: Der letzte Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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tierische Produkte ihre Wirkung. Und wenn ich schwer krank wäre, würde ich auch alles versuchen und meinen letzten Dong, wenn’s sein müsste, für Rhino-Horn ausgeben. Aber darum geht’s den meisten ja nicht mal. Und glauben Sie mir, es gibt immer Alternativen. Und oft sindsie günstiger und besser. Dieses ganze Tiergeschäft bringt doch nur unsere Medizin in Verruf.«
    *
    Nachdenklich ging Ly nach Hause und brachte seiner Mutter die Tigerknochenpaste. Er hoffte nur, sie würde helfen, egal, was Doktor Ha davon hielt.
    Auf dem Weg ins Präsidium kehrte er in der Suppenküche der alten Ba ein, die ihm eine Schüssel bun rieu zubereitete, wie immer mit einer Extraportion Krebsfleisch und Nudeln. Ly löffelte die von Tomaten und Chili rote Brühe, bis ihm der Schweiß die Stirn hinunterlief, und verfolgte dabei die Nachrichten im Fernseher an der Wand. Die Reisernte in den nördlichen Provinzen konnte in diesem Jahr um fünfzehn Prozent gesteigert werden. An der Grenze zu China waren zwei Mädchen aus den Fängen von Menschenhändlern befreit worden. Sie hatten als Ehefrauen verkauft werden sollen. Und in Hanoi hatte es eine Protestaktion gegen China gegeben. Dabei war es aber nicht um die Mädchen gegangen, sondern mal wieder um die Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer, die China Vietnam streitig machen wollte. Die Demonstranten, vor allem alte Männer, hielten Schriftbanner in die Kamera: »No China«, »Raus mit den Aggressoren«, »Sich China unterordnen? Ho Chi Minh hat gesagt: NIEMALS!«
    *
    In der Eingangshalle des Präsidiums waren mehrere junge Männer in den Anzügen der Viettel- Telecom dabei, eine Wand aufzureißen. Der Lärm der auf Stein schlagenden Hämmer hallte durch das ganze Gebäude. Lan hatte oben schon ihre Tür geschlossen, was sie sonst nie tat. Ly ging zu ihr hinein. Sie saß am Computer. Ihre Finger glitten schnell über die Tastatur.
    »Da ist Kaffee. Bediene dich«, sagte sie, ohne aufzublicken.
    »Danke. Gerade nicht.« Ly schaute ihr über die Schulter. »Was machst du da?«
    »Es geht wieder um die Entschädigungen.«
    »Wie war denn eigentlich dein Gerichtstermin?« Ly hatte vollkommen vergessen, sie danach zu fragen.
    »Immer noch kein Geld«, sagte Lan. »Wenn das so weitergeht, können wir auf unserem neuen Baugrundstück ein Zelt aufschlagen.«
    »Wenn ich dir irgendwie helfen kann«, sagte Ly.
    Lan sah kurz auf und lächelte ihn an. »Lass mal.«
    »Hat sich der Parteikommissar gemeldet?«, fragte Ly.
    »Der kommt später. Es ist der Fünfzehnte des Mondmonats. Da begleitet er doch immer seine Frau in die Pagode.«
    Ly sah Lan überrascht an. Das hatte er nicht gewusst und dem alten Genossen auch nicht zugetraut.
    »Ich hatte dir die Handynummer dieser Jacky gegeben. Konntest du da schon was rausfinden?«
    »Eine Prepaid-Karte, wie du schon vermutet hast. Darüber bekommen wir keine Informationen«, sagte Lan. »Ich habe aber noch mal mit ein paar Leuten im Dorf dieses Unfallfahrers vom Literaturtempel telefoniert.«
    »Und?«
    »Die einen sagen, er war ein netter Junge. Allerdings immer mit dem Nachsatz, sie wollten nicht schlecht über Tote reden. Die anderen sagen, er war ein Nichtsnutz. Faul. Und nicht der Cleverste.«
    »Also nicht derjenige, der ein großes illegales Geschäft aufzieht.«
    »Eher nicht«, sagte Lan.
    Ly nickte und schenkte sich jetzt doch einen Kaffee ein.
    »Du hast übrigens Besuch«, sagte Lan. »Ein Junge. Er sagt, du hast ihn eingeladen. Er wartet drüben.«
    Es war Bang, der Junge des Grenzers aus Na Cai, der vor Lys Aquarium stand, die Hand in der Dose mit Fischfutter. »Nicht so viel«, rief Ly. Doch es war zu spät. Futter für eine ganze Woche trieb auf der Wasseroberfläche. Ly hatte nicht damit gerechnet, dass Bang so schnell in Hanoi auftauchen würde. Er dachte an den Vater des Jungen. Er wusste sicherlich nicht, dass Bang im Präsidium war.
    »Bist du mit dem Bus gekommen?«, fragte Ly.
    »Die Baronin hat mich mitgenommen«, sagte Bang. »Sie hat hier eine Wohnung. In der Hang-Trong.«
    Ly horchte auf. Von einer Wohnung in Hanoi hatte in den Unterlagen, die Lan zusammengestellt hatte, nichts gestanden.
    »Ich musste ein paar Sachen für meinen Vater einkaufen. Er …« Der Junge fuhr sich mit der Hand über die linke Gesichtshälfte. »Er ist nicht gern unter Menschen.«
    Bang erzählte Ly, dass sein Vater fast nie das Dorf verließ. Und wenn er mal nach Hanoi kam, dann nur, um ein paar alte Freunde aus Armeezeiten zu besuchen, die unten

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