Der letzte Tiger
Souvenirgeschäft blieb Bang stehen. Ly machte einen Schritt hinter mehrere Ausländer, die mit ihren klobigen Rucksäcken auf dem Gehweg standen und nicht recht zu wissen schienen, wohin.
Bang schaute sich kurz um, als wolle er sich versichern, dass ihm niemand folgte, schob die Tür zu dem Laden auf und trat in den Innenraum. Die gesamte Vorderfront war verglast, so dass Ly sehen konnte, wie Bang den Laden durchquerte und durch eine Tür nach hinten verschwand. Ly kannte die Häuser in der Hang-Trong. Sie gingen nicht so tief nach hinten wie in vielen anderen Gassen. Dieses Haus hatte höchstens noch einen einzigen kleinen Hof oder Anbau. Ly zündete sich eine Zigarette an und schaute an dem Haus hoch. Es war eines der alten Häuser mit nur einem Obergeschoss. Dort in der ersten Etage musste die Wohnung der Baronin sein.
Ly überquerte die Straße und blieb im Schatten einer verschlissenen Markise stehen. Sein Telefon klingelte. Es war Lan. »Du kannst wiederkommen«, sagte sie. »Der Parteikommissar hat sich gerade schon Tu wegen des Artikels vorgenommen.« Sie kicherte. »Weißt du, was Tu ihm gesagt hat? Die Leute hätten ein Recht auf Information.«
Ly verdrehte die Augen über so viel Naivität. Ein Recht auf Information. Wo waren sie denn? »Der hat echt zu lange im Ausland gelebt«, sagte Ly.
An einem der kleinen Straßenstände in der Hang-Trong kaufte er ein banh my pate . Knuspriges Baguette, belegt mitFleischpastete, Bauchspeck, dunkelroten Tomaten, Gurken. Das Haus, in dem Bang verschwunden war, behielt er weiterhin im Auge. Er hatte noch nicht gezahlt, als zwei Frauen das Souvenirgeschäft betraten. Gleichzeitig trat eine Frau auf die Straße. Ly hatte sie vorher nicht kommen sehen. Die Frau blickte sich um und kam ihm über die Straße entgegen. Schnell drehte er sich weg. Es war die Frau, die er kürzlich im Quan Ruou No. 1 gesehen hatte. Sie war ihm noch aufgefallen, weil sie in dieser Männerbar ohne Begleitung seltsam fehl am Platz gewirkt hatte. Und der Gastwirt, Quynh, hatte sie die ganze Zeit wenig freundlich angestarrt. Ihre Lippen waren grell geschminkt gewesen, und sie hatte eine grüne Handtasche bei sich getragen. Heute war sie ungeschminkt und trug einen rosafarbenen, nicht mehr ganz neuen Jogginganzug. Aber sie war es, da war er sich ganz sicher. Er zahlte schnell sein banh my pate , griff, ohne auf das Wechselgeld zu warten, nach der Tüte und lief der Frau hinterher, die schon um die Ecke zur Kathedrale abgebogen war.
Es fiel Ly nicht allzu schwer, ihr ungesehen zu folgen. An diesem fünfzehnten Tag des Mondmonats waren die Straßen noch voller als sonst. Frauen gingen mit Tüten voller Obst und Räucherstäbchen durch die Gassen, und die Verkäufer der Opfergaben hatten ihre Stände vor den vielen kleinen Tempeln und Pagoden aufgebaut.
Die Frau lief in die Altstadt hinein. Vor einem Laden mit Zubehör für Hausaltäre blieb sie stehen und betrachtete die Auslage, kaufte aber nichts. Ein Stück weiter betrat sie eine kleine Pagode. Von der Straße aus beobachtete Ly, wie sie vor dem Hauptaltar betete und Geldscheine in eine Spendenkiste steckte.
Dann ging sie die Hang-Chieu, die Mattengasse, hinunter und nahm den Weg durch ein winziges Gässchen, in dem Garküchen eng an eng aufgebaut waren. Eingeklemmt zwischen Tischen und Töpfen saßen die Köchinnen. Im Angebot waren Wasserschnecken, Frühlingsrollen, alle Arten von Suppen. Die Luft war vernebelt vom Rauch der Holzkohlegrills und dem Dampf aus den Töpfen. Der Geruch nach frischer Minze, Chili und würziger Brühe stieg Ly in die Nase. Ein Moped kam ihnen entgegen, und Ly wie auch die Frau, die er verfolgte, drängten sich zwischen die Tischreihen, um es vorbeizulassen. Wenn sie sich jetzt umdrehte, würde sie ihn sehen, dachte Ly und war erleichtert, als sie endlich weitergehen konnten und aus dem engen Gässchen heraustraten. Sie waren jetzt am Dong-Xuan-Markt, den die Frau durch einen Seiteneingang betrat. Vorne in der Abteilung für getrocknete Meeresprodukte blieb sie stehen und kaufte einen Beutel Krabben. Ly war in ausreichender Entfernung stehen geblieben, um sie zu beobachten, als ihn etwas von hinten in die Rippen stieß und er herumfuhr. »Verdammt. Was soll das?«
»Freundlich wie immer«, sagte Ngoc. Es war sein verhasster Schwager, Tams Mann. Ein Lächeln umspielte seinen Mund.
Ly holte tief Luft. Jetzt bloß keinen Streit anfangen, murmelte er zu sich selbst. Er musste an der Frau dranbleiben. Sie verschwand
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