Der letzte Tiger
schon im hinteren Teil der Halle zwischen all den Ständen und Menschen. Er ließ Ngoc stehen und rannte hinterher, sprang über Stoffballen, die in den Gängen lagen, drängte sich vorbei an Händlerinnen, die auf Säcken hockten, und Männern, die Kisten auf ihrenKöpfen trugen. Die Frau in ihrem rosafarbenen Jogginganzug allerdings sah er nicht mehr. Er suchte die Halle mit den Augen ab, lief durch die Gänge und den abgetrennten Marktteil mit den Garküchen. Vergebens. Er hatte die Frau im Gedränge des Dong-Xuan-Marktes verloren.
Fluchend verließ er die Halle und weckte einen xe om- Fahrer, der rücklings auf dem Sattel seiner Honda Dream schlief, eine Zeitung über dem Gesicht. Ly handelte einen Preis aus und ließ sich in die Trieu-Viet-Vuong fahren.
*
Das Quan Ruou No. 1 hatte geschlossen, trotzdem war die Tür nur angelehnt. Im Gastraum war es düster, lediglich durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden fielen einzelne Sonnenstrahlen. Phu, Quynhs ältester Sohn, packte Tiger -Bier in den Kühlschrank. Immer vier Flaschen auf einmal.
Ly fand Quynh in der Küche. Er schwenkte einen Wok mit Jakobsmuscheln über den hohen Flammen des Gasherds. Als er Ly sah, stellte er ihn beiseite und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. »Hey, du schon wieder. Hast du das Geld für deinen Tiger zusammengekratzt?« Er lachte.
»Ich muss mit dir reden«, sagte Ly, ohne weiter auf den Scherz einzugehen.
Quynh musterte ihn und nickte. »Lass uns nach hinten gehen.« Er hob den Wok an und schob den Inhalt auf einen Teller, griff zwei Tiger- Bier aus dem Kühlschrank, nahm Stäbchen und schob Ly durch eine offene Tür in den Hinterhof.
Entlang der Wände standen aufeinandergestapelte Käfige. Bis auf einen, in dem ein Stachelschwein saß, waren sie leer. Die Echsen, von denen Quynh neulich geredet hatte, waren anscheinend alle schon verkauft. Sie setzten sich auf die beiden einzigen Stühle, die im Schatten eines Hibiskusbaums standen.
Ly probierte von den Muscheln. Butterweich, mit einem Hauch von Anis und Limette. Er nickte anerkennend und fragte: »Wer war die Frau letztens, an der Bar?«
Quynh kniff die Augen zusammen, als sei es ihm mit einem Mal zu hell. »Welche Frau?«
»Lange Haare, blass, greller Lippenstift, grüne Handtasche.«
Quynh gab ein Brummen von sich.
»Ich muss wissen, wer das ist«, sagte Ly mit Nachdruck.
»Und wenn ich’s nicht weiß?« Trotz lag in Quynhs Stimme.
»Quynh, es ist wichtig. Und du weißt, ich kann meinen Mund halten.«
Quynh trank von seinem Bier und schien nachzudenken. Schließlich machte er eine Kopfbewegung zu den Käfigen hin und sagte: »Bei ihr bestelle ich die Tiere.«
»Weißt du, ob sie ihre eigene Chefin ist?«, fragte Ly.
»Nein. Bestimmt nicht. Die nimmt nur die Bestellungen auf und kassiert das Geld.«
»Hast du eine Adresse? Einen Namen?«
»Sie nennt sich Jacky. Ihren richtigen Namen kenne ich nicht.« Quynh zog sein Telefon aus der Hosentasche und diktierte Ly eine Telefonnummer. Sicherlich die Nummer einer Prepaid-Karte, mit der Ly nichts würde anfangen können.
»Du magst die Frau nicht«, sagte Ly.
»Ist das so?« Quynh machte ein abfälliges Gesicht. »Sie sammelt das Geld ein. Wer mag das schon?«
Ly aß noch etwas von den Muscheln und sah Quynh abwartend an.
Quynh seufzte. »Okay, sie wollte, dass ich für drei Zibetkatzen zahle, die nie bei mir angekommen sind. Wurden bei einer Straßenkontrolle konfisziert. Sie meinte, das sei mein Risiko. Das sehe ich anders.«
»Aber du hast gezahlt?«
»Mit diesen Leuten ist nicht zu scherzen.«
»Wer sind diese Leute?«
Quynh zog die Schultern weit hoch und schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, wirklich«, sagt er, und Ly glaubte ihm.
Natürlich konnte diese Jacky in dem Haus in der Hang-Trong gewesen sein, um ein Souvenir zu kaufen. Aber das glaubte Ly nicht. Vielmehr war er sich sicher, dass es eine Verbindung gab zwischen ihr und der Baronin. Und wenn dem so war, gab es sicher auch eine Verbindung zwischen der Baronin und dem illegalen Tierhandel. Das würde auch erklären, warum Truong in Na Cai gewesen war und danach so dringend mit ihm hatte sprechen wollen. Tiere waren letztendlich das Einzige, wofür Truong sich wirklich interessiert hatte. Und vielleicht war ja aus dem neugierigen Biologen längst ein Aktivist geworden. Die Fotos, die er in seiner Wohnung gefunden hatte, würden darauf hindeuten. Und Ly hatte ja bereits gemerkt, dass er so einiges vom Leben seines
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