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Der letzte Tiger

Der letzte Tiger

Titel: Der letzte Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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Freundes nicht mehr mitbekommen hatte. Er zog seine letzte Thang Long ausder Packung. Seine Hände zitterten. Er behielt den Rauch lange in den Lungen.
    *
    Ly nahm wieder ein xe om und ließ sich noch einmal in die Hang-Trong fahren. Bang wäre vermutlich nicht begeistert, wenn herauskam, dass er im Präsidium gewesen war. Aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Er musste sich vergewissern, dass die Wohnung der Baronin wirklich in diesem Haus war, aus dem er Jacky, die Mittelsfrau mit der grünen Handtasche, hatte kommen sehen. Und dass die beiden Frauen sich kannten.
    Ly betrat den Souvenirladen im Erdgeschoss. Auf dem Boden neben der Tür stand der Schrein für than tai und tho dia , den Heiligen des Wohlstandes und den kleinen Erdgott, die als Schutzpatrone in jedem Geschäft zu finden waren. Eine frische pinkfarbene Drachenfrucht lag vor den kleinen Porzellanfiguren.
    Die Verkäuferin, ein Mädchen von höchstens zwanzig Jahren, saß mit angezogenen Beinen auf dem Stuhl hinter der Kasse, das Kinn auf die Knie gelegt, und schaute eine dieser koreanischen Seifenopern, die Lys Tochter Huong auch so liebte.
    Langsam ging Ly an den Regalen vorbei und sah sich die Auslagen an. Lackschalen, Schals aus den Webstoffen ethnischer Minderheiten, handgeschnitzte Holzstempel mit Drachenmotiven, Klangfrösche, bei denen man Laute erzeugte, indem man mit einem Holzstab über den Rückenkamm schrappte.
    Etwas widerwillig riss das Mädchen sich vom Bildschirm los und schlurfte in ihren Hello-Kitty -Pantoffeln zuLy hinüber. Sie beobachtete genau, was er sich ansah, bevor sie fragte: »Was suchen Sie denn?«
    »Eigentlich suche ich Frau Le Thi Phuong«, sagte Ly. Er ging nicht davon aus, dass man sie hier als Baronin kannte. So einen Spitznamen konnte sie sich nur in einem Dorf wie Na Cai leisten.
    »Die ist vorhin abgefahren«, sagte das Mädchen und spähte schon wieder zum Bildschirm hinüber.
    »Ist sie oft in Hanoi?«, fragte Ly.
    »Hmm.«
    Ly seufzte. Gesprächig war das Mädchen ja nicht gerade. »Und Bang, ist er auch mitgefahren?«
    Als er Bang erwähnte, ging ein Lächeln durch ihr Gesicht. Der Junge wusste wirklich die Leute für sich einzunehmen, das war Ly nicht anders ergangen.
    »Der ist mitgefahren. Klar«, sagte sie.
    »Ist vielleicht Jacky da?«
    »Diese Freundin von Frau Le Thi Phuong? Nee, die kommt nur, wenn Le Thi Phuong hier ist.«
    »Weißt du, wo sie wohnt? Oder ihren richtigen Namen?«
    »Nee«, sagte das Mädchen und ging wieder zu ihrem Fernseher, auf dem sie jetzt gebannt eine seichte Liebesszene verfolgte.
    Ly nahm eine dunkelrot lackierte Schale in die Hand. Ohne die Herzchen, die auf der Innenseite eingelassen waren, wäre sie ganz hübsch. »Kann ich vielleicht kurz die Toilette benutzen?«, fragte er.
    »Im Hof.« Ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden, machte das Mädchen eine Handbewegung zu der Tür, durch die Bang vorhin verschwunden war.
    Gleich hinter dem Ladenraum, den eine Schiebetür vom Rest des Hauses trennte, lag das Treppenhaus, dahinter der Hof. Zerrupft aussehende Hühner rannten frei herum und pickten zwischen den Bodenplatten nach Essenresten. Unter einem Dach aus Plastikplanen standen ein Gasofen und eine Waschmaschine. Der Abwasserschlauch lag offen im Hof. Der Boden war feucht und mit einer schmierigen Schicht überzogen. Die Hofmauern waren von Moos bewachsen, unterhalb der Regenrinne war die Wand schwarz. Die Tür zur Toilette, die sich in einer Wellblechhütte befand, stand offen. Es war ein altmodisches Plumpsklo, wie auch bei Ly zu Hause. Das Wasser musste mit einem Eimer aus der nebenstehenden Regentonne nachgeschüttet werden.
    Was für ein Unterschied zum Haus der Baronin in Na Cai, dachte Ly.
    Er trat in das Treppenhaus, sah und hörte niemanden und stieg die Stufen hinauf. Oben gab es zwei Türen. Ein Zimmer zur Straße hin und eines zum Hof. Er wollte gerade die Klinke zum vorderen Raum drücken, als ein Mann die andere Tür aufriss.
    »Was wollen Sie?«, fragte er. Es hörte sich an wie ein Knurren, aber das konnte auch einfach an seinem hohen Alter liegen. Der Mann musste mindestens Mitte achtzig sein.
    »Ich wollte zu Frau Le Thi Phuong!«, sagte Ly und versuchte, an dem Mann vorbei in den Raum hinter ihm zu gucken. Das Einzige, was er durch den Spalt sehen konnte, war ein Ahnenaltar. Ein aufwendiges Stück aus schwerem Holz, mit Intarsien und groß wie ein Wandschrank.
    »Die ist weg. Was wollen Sie von ihr?«
    »Ich bin ein alter Freund. Sind Sie

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