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Der letzte Tiger

Der letzte Tiger

Titel: Der letzte Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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Kopf. »Diese Direktorin hat ihren Laden ziemlich gut im Griff. Der würde so etwas nicht entgehen.«
    Ly hatte die Frau nur einmal getroffen, aber er konnte sich gut vorstellen, dass sie alles, was in ihrem Tierpark passierte, genau kontrollierte. »Und wenn sie von dem Verkauf wusste?«, schlug er vor und fragte sich insgeheim, was dann Truong von dem Handel mitbekommen hatte. Immerhin war er der Bestandsverwalter der Zootiere gewesen. Vielleicht hatte sein Tod gar nichts mit der Fahrt nach Na Cai, sondern mit diesem Tigerverkauf zu tun.
    »Die Direktorin?« Tu lachte und rieb sich mit der flachen Hand über seine gegelten Haarstoppeln. »Nein. Das kann sie sich gar nicht leisten. Wenn es um Tierschutz geht, ist sie bei jeder internationalen Delegation ganz vorne dabei.«
    Ly seufzte. »Wir müssen noch mal die Frau vom Haus an den Gleisen verhören.«
    Er war sich sicher, sie wusste mehr, als sie bislang gesagt hatte. Sie müssten sie nur weiter unter Druck setzen.
    »Ich würde erst mit der Zoodirektorin sprechen«, sagte Tu und erklärte Ly, dass sie ziemlich hoch in der Partei angesiedelt sei und der Zoo direkt dem Volkskomitee der Stadt Hanoi unterstehe. Das war eine dieser – wie der Parteikommissar es bezeichnen würde – sensiblen Situationen. Ly rief also, wenn auch widerwillig, die Zoodirektorin an. Tu hatte ihre Mobilnummer, da die Umweltpolizei regelmäßig mit ihr zusammenarbeitete.
    Am anderen Ende der Leitung ertönte eine automatisierte Frauenstimme. Die Ansage war auf Russisch. Ly vermutete, sie sagte, dass der Teilnehmer nicht erreichbar sei. Aber sicher war er nicht. Von der Sprache des großen sozialistischen Bruders, die er wie alle seiner Generation in der Schule hatte lernen müssen, verstand er kein Wort mehr.
    Von einer Sekretärin des Zoos erfuhr er dann, dass die Direktorin auf einer Konferenz in Moskau gewesen war und um vierzehn Uhr mit der Aeroflot -Maschine zurückerwartet wurde. Ly sah auf die Uhr. Das würden sie gerade noch schaffen.
    *
    Lan fuhr mit Tu auf dessen glänzend polierter schwarzer Honda Forza. Ihre Arme hatte sie eng um Tus Bauch geschlungen. Ly fuhr mit seiner noch immer verbeulten Vespa. Er müsste sie seinem Bruder dringend mal einen Tag zur Reparatur überlassen.
    Obwohl die Straße Richtung Flughafen teilweise sechsspurig ausgebaut war, stockte der Verkehr. Erst kurz vor der Thang-Long-Brücke über den Roten Fluss wurde es etwas besser, und sie konnten Gas geben. Auf der anderen Uferseite wechselten sich Reisfelder mit den eng an die Straße gebauten Häusern ab. Der Horizont war so diesig, dass Ly die Berge, die am Horizont aufragten, nur erahnen konnte. Ein Wasserbüffel trottete gemächlich über die Schnellstraße. Alle paar Meter standen große Werbetafeln auf Pfeilern in den abgeernteten Feldern. Handgemalte Plakate mit muskulösen Arbeitern und kämpfenden Frauen in grünen Uniformen waren nicht mehr darunter. Der Sozialismus hatte sich modernisiert. Es wurde für Smartphones, Energydrinks und Billigflüge von Air Asia geworben, mit denen sich auch der Durchschnitts-Hanoier wie Ly mal eine Reise nach Bangkok leisten konnte. Links der Straße kam bereits der Flughafen in Sicht, als Ly ein ungewöhnliches Werbeplakat ins Auge fiel. Darauf waren zwei identische Fotos eines Tigerjungen abgebildet. Auf demeinen war über die Augen des Tieres das Zielkreuz eines Gewehrobjektivs gezeichnet, auf dem anderen das Fokus-Quadrat einer Digitalkamera. Darunter der Satz: »Ändern Sie Ihre Perspektive.« Vor einer Woche noch, dachte Ly, wäre ihm das Plakat gar nicht aufgefallen.
    Sie stellten ihre Motorräder direkt vor dem Eingang des Flughafens ab. Lan ging los, um einen Raum zu organisieren, in dem sie mit der Zoodirektorin sprechen konnten. Ly und Tu eilten in die Ankunftshalle. Die Aeroflot -Maschine musste schon gelandet sein.
    Sie warteten zwischen Großfamilien und Taxifahrern, die hinter der Zollschranke standen. Die einen mit Blumensträußen, die anderen mit Namensschildern.
    Mit energischen Schritten trat die Zoodirektorin durch die automatische Schiebetür zu ihnen heraus, und Ly und Tu gingen auf sie zu. Zuerst erkannte sie die beiden nicht, dann huschte ein überraschter Ausdruck über ihr Gesicht, der aber sofort wieder verschwand.
    Ly erklärte ihr, sie hätten ein paar dringende Fragen zum Tierhandel und bräuchten unbedingt ihre Hilfe. Sie stimmte zu, kurz für Fragen zur Verfügung zu stehen, und kam mit. Tu zog ihren Koffer.
    Lan erwartete sie in

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