Der letzte Tiger
einem kleinen Raum der Flughafenpolizei im ersten Stock. Sie hatte ihr charmantestes Lächeln aufgesetzt. »Frau Nga, schön, dass Sie Zeit gefunden haben.« Sie reichte ihr einen Cappuccino, den sie noch schnell in der Flughafenhalle geholt haben musste.
Die Zoodirektorin nahm die Tasse, ignorierte Lan aber ansonsten und wandte sich Tu und Ly zu. »Also, meine Herren, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Sie waren ein paar Tage in Moskau?«, fragte Ly. »Dann haben Sie vermutlich noch nicht von unserem neuen Fund gehört.«
»Nein. Ich denke nicht.«
»Ich zeige Ihnen jetzt einige Fotos. Ich würde gerne Ihre Meinung dazu hören.« Ly legte die Fotos jedes einzelnen Tieres, das sie im Haus an den Gleisen gefunden hatten, vor sie auf den Glastisch.
Sie betrachtete die Fotos eines nach dem anderen, wobei sie an ihrem rechten Ohrläppchen zupfte und die Augen zusammenkniff, als wäre sie kurzsichtig.
Ly klopfte sich eine Thang Long aus der Packung, ohne seinen Blick von der Frau abzuwenden, und zündete sich die Zigarette an.
»Wirklich unglaublich«, sagte sie und wedelte mit der Hand den Zigarettenrauch weg. »Wo ist das?«
»Den Fund haben wir in einem Privathaus in der Phung-Hung-Straße gemacht«, sagte Tu und fasste in groben Zügen die Details zusammen. Ly ließ ihn erst mal reden. »Wir müssen Ihnen leider mitteilen«, sagte Tu schließlich und tippte auf das Foto mit dem tiefgefrorenen Tiger, »dieses Tier kommt aus Ihrem Zoo.«
Ly war sich für einen Moment nicht sicher, ob die Zoodirektorin überhaupt gehört hatte, was Tu gesagt hatte. Sie verzog keine Miene, schaute nur weiter auf die Fotos. Dann lachte sie laut auf, gekünstelt wie über einen schlechten Scherz. »Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor.«
Tu schüttelte den Kopf. »Nein. Der Tiger kommt aus dem Zoo. Die Frage ist nur, wie er in die Kühltruhe gelangt ist.«
»Mir ist klar, dass das einer meiner Tiger ist. Dong hieß er«, sagte sie. »Er ist vor ein paar Wochen gestorben. Erstickt an einer Plastiktüte. Wir haben leider immer wieder diese Fälle, wo Besucher ihren Müll in die Käfige werfen.«
Tu hatte sich jetzt vorgebeugt. »Frau Nga, das wissen wir. Wir sind aber nicht wegen irgendwelcher Plastiktüten hier. Ein Tiger aus Ihrem Zoo ist auf dem Schwarzmarkt gelandet.«
Sie sah Tu an, lächelte. »Junger Mann, der Zoo hat noch eine Geschäftslizenz von 1982. Wir dürfen Tiere verkaufen, die in Gefangenschaft geboren worden sind.«
Tu starrte die Zoodirektorin an, und es dauerte einen Moment, bis er sich wieder gefasst hatte. »Um einen Tiger zu verkaufen …«, sagte er endlich, als Ly schon eingreifen wollte, »hätten Sie die Zustimmung des Forstministeriums gebraucht. Aber sogar dann hätte ein Verkauf für kommerzielle Zwecke, und das ist dieser illegale Handel ja wohl, gegen internationales Recht verstoßen.«
»Ich bin Zoodirektorin, keine Juristin.« Sie hob entschuldigend die Hände, immer noch dieses Lächeln im Gesicht.
»Der Tiger hätte verbrannt werden müssen«, schob Tu hinterher. »Das wissen Sie.«
»Ach, hören Sie doch auf! Der Tiger war sowieso tot. Und wir brauchten das Geld. Und wissen Sie, wofür? Für die Tiere, die Sie bei uns abliefern. Was meinen Sie, was es kostet, die alle durchzufüttern.«
»Wir beschlagnahmen die Tiere, und Sie verhökern sie wieder?«
»Alles für den Zoo«, sagte die Direktorin entschiedenund gleichzeitig schnippisch. Ly misstraute dieser Frau mehr und mehr.
»Wem haben Sie das Tier verkauft?«, fragte Tu.
Sie schien kurz nachzudenken und nahm dann ihr iPhone zur Hand. Es dauerte nur Sekunden, bis sie gefunden hatte, wonach sie gesucht hatte: »Hier. Eine gewisse Frau Le My Lien. Zehntausend Dollar. Damit kann ich eine Menge anderer Tiere satt bekommen.«
Diese Frau vom Haus an den Gleisen, dachte Ly. Hatte sie also doch etwas mit dem geschäftlichen Teil des Handels zu tun gehabt. »Welche Tiere von diesen Fotos hier kommen noch aus dem Zoo?«, mischte Ly sich jetzt in das Gespräch ein.
»Keine«, versicherte die Zoodirektorin.
»Und das soll ich Ihnen glauben?«
»Tun Sie, was Sie wollen.« Die Zoodirektorin sah auf ihre Armbanduhr und erhob sich. »Ich muss jetzt wirklich los. Ich habe noch ein mit tinh im Volkskomitee.«
»Bleiben Sie sitzen«, fuhr Ly sie in scharfem Ton an. Sein Telefon klingelte, und er drückte den Anruf weg. »Wir sind noch nicht fertig. Wir gehen mittlerweile davon aus, dass Ihr ehemaliger Mitarbeiter Le Ngoc Truong
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