Der letzte Vampir
veränderten die Details, um ihre Leser nicht damit zu deprimieren, wie schlecht die Welt wirklich sein kann.«
»Aber wenn sie wussten, wie die Realität aussieht …«
»Aber das ist es ja gerade – sie wussten es eben nicht.« Arkeley seufzte. »Jedesmal wenn ein Vampir auftaucht, sagen die Leute das Gleiche: ›Ich dachte, sie wären ausgestorben‹. Das kommt daher, weil es zu keiner Zeit mehr als eine Handvoll von ihnen gab. Und dafür können wir Gott danken. Wären sie zahlreicher oder besser organisiert, wären wir alle tot.«
Vor lauter Anstrengung, zu intensive Gedanken über das Thema zu vermeiden, traten Falten auf Caxtons Stirn. Während der restlichen Fahrt nach Caernarvon zur Jagdhütte verzichtete sie auf jede Unterhaltung. Arkeley konnte gut schweigen, eine Tatsache, die sie langsam zu schätzen lernte. Manche Dinge waren einfach keine Unterhaltung wert.
Bei Ihrem Eintreffen parkten auf dem Gras in der Nähe der Hütte Streifenwagen aus drei verschiedenen Zuständigkeitsbereichen – von der State Police, dem Sheriff des County (einem der siebenundsechzig Verwaltungsbezirke Pennsylvanias) und ein Fahrzeug des örtlichen Polizeireviers. Der Beamte, ein Mann mittleren Alters in einer dunkelblauen Uniform, stand draußen und sah aus, als würde er sich gleich übergeben. Technisch gesehen war es sein Tatort, und er musste Caxton und Arkeley die Erlaubnis erteilen hineinzugehen. Sie warteten, bis er sich gut genug fühlte, um ihre Ausweise zu überprüfen.
»Kommen Sie damit klar?«, fragte Arkeley sie. Es klang nicht wie eine Herausforderung, aber sie wollte es so auffassen. »Das wird kein schöner Anblick.«
»Ich habe genug Schulballköniginnen vom Asphalt gekratzt, harter Bursche«, erwiderte sie. »Ich habe Zähne aus dem Armaturenbrett gepult, damit wir die zahnärztlichen Unterlagen vergleichen konnten.«
Arkeley schenkte ihr ein trockenes Lachen.
Aus fünfzehn Metern Entfernung sah es gar nicht so schlimm aus. Die Hütte war eindrucksvoller, als Caxton sich vorgestellt hätte. Sie stand neben einem murmelnden Bach, beschützt vom Schatten einiger hoher Weiden. Die meisten Jagdhütten waren nach Caxtons Erfahrungen zugige kleine Holzbauten mit steilen Satteldächern, damit sie unter der Last des Schnees nicht zusammenbrachen. Farrel Mortons Haus war schon mehr als eine einfache Hütte. Das große Hauptgebäude mit vielen Fenstern ging in einen neueren Anbau und eine Küche über, die nach Caxtons Einschätzung halb freistand – sie hatte sich die Schornsteine und Lüftungsklappen genauer angesehen. Eine Veranda säumte die ganze Länge des Gebäudes, gut ausgestattet mit Schaukelstühlen aus grob zurechtgehauenem Holz, das noch immer über seine Rinde verfügte. Unter dem Dachfirst hatte Morton mit heller Farbe ein Hexenzeichen angebracht, ein uraltes Symbol gegen das Böse, das noch von den holländischen Siedlern herrührte.
Anscheinend hatte es nicht besonders gut gewirkt. Cops mit aufgeknöpften Uniformhemden und zur Seite gelegten Hüten gruben Löcher in den Küchenhof und hinter dem Haus. Sie mussten nicht sehr tief graben.
»Ich dachte, alle Vampiropfer würden als Halbtote zurückkommen«, sagte Caxton und betrachtete den Haufen aus Knochen und Fleischstücken, der aus einem dieser Löcher stammte. Maden ließen den Brustkorb blubbern. Sie musste zur Seite schauen. Das war schlimmer als Unfallopfer. Die waren frisch und ihre Farbe normal. Doch diese Leichen hier verströmten einen widerlichen Geruch. Einen wirklich widerlichen Geruch.
»Nur, wenn er sie ruft«, erklärte Arkeley. »Er brauchte nicht viele Diener, vor allem, wenn er innerhalb unserer Reichweite bleiben wollte. Halbtote können sich nicht so gut tarnen wie Vampire. Seine Blutlust zwang ihn, sich immer mehr Opfer zu holen, aber er wollte keine dreißig Sklaven herumrennen lassen, die bloß Aufmerksamkeit erregen.«
»Wohl eher hundert, wenn man die drinnen mitzählt.« Das kam von dem Cop. Er war immer noch grün im Gesicht. Er gab ihnen die Ausweise zurück und ließ sie eintreten.
Als Caxton die Küche sah, wünschte sie sich beinahe, er hätte ihnen den Zugang verweigert. Der Anblick dort war purer Irrsinn, und ihr Verstand weigerte sich, ihn zu akzeptieren. Der Geruch spielte ihren Sinnen Streiche. Er war schlimm, sogar außerordentlich schlimm, aber es war mehr als das. Er war falsch . Der Reptilienteil ihres Gehirns wusste, dass dieser Geruch Tod bedeutete. Er wusste genug, dass sie sich dort weg
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