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Der letzte Vampir

Der letzte Vampir

Titel: Der letzte Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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sie.
    »Ja, meine Liebe, das weiß ich.« Vesta legte die Karte auf den Tisch und öffnete das Kästchen. »Ich sehe alles. Und von jetzt an sagen Sie bitte nichts. Versuchen Sie, keine Regung zu zeigen, geben Sie mir keine Hinweise. Sehen Sie einfach nur auf die Karten.«
    Caxton rührte den Tee nicht an. Vesta hob eine Karte nach der anderen, so, dass nur Caxton sie sehen konnte. Nach einem Moment legte sie sie mit dem Bild nach unten auf den Tisch. Gelegentlich hielt sie inne, um Caxtons Gesicht so intensiv zu studieren, als würde sie es zeichnen wollen. Dann griff sie in das chinesische Kästchen und nahm eine lange, braune Zigarette und ein genauso langes Streichholz heraus. Sie paffte die Zigarette und füllte den Raum mit scharfem, übelriechendem Rauch, bis Caxton die Augen tränten. Dann zog sie eine weitere Karte.
    Das alles wiederholte sich, bis keine Karten mehr übrig waren; Vesta mischte sie dann erneut und fing von vorn an. Und mit jedem Mischen gab es neue Instruktionen. Caxton sollte die Karten nicht ansehen. Sie sollte das Symbol in Gedanken nur benennen, statt es sich bildlich vorzustellen. Sie sollte sämtliche Gedanken aus ihrem Kopf verbannen. Die Zeit schien langsamer zu vergehen oder vielleicht auch ganz aufzuhören. Möglicherweise enthielten die Zigaretten noch etwas anderes als Tabak.
    Vesta nahm die Karten und mischte sie erneut. »Gut. Versuchen Sie dieses Mal, an ein anderes Symbol zu denken als das, das Sie sehen.« Caxton gehorchte. Nachdem sie fünf oder sechs Karten durchgegangen waren, überraschte Vesta sie: »Sie sorgen sich um Deanna.«
    Es fiel schwer, sich auf die Karte vor ihr zu konzentrieren, aber Vesta ließ sie zwischen zwei Fingern hin- und herschnappen, und Caxton nahm den Blick vom Gesicht der anderen Frau. »Sie ist schon lange arbeitslos«, sagte sie dann.
    »Sie hat schlimme Träume. Gewalttätige Träume – Sie mussten sie letzte Nacht wecken, weil Sie Angst hatten, sie könnte sich verletzen. Sie hat auch Angst, Angst, dass Sie getötet werden könnten.«
    Damit wären wir schon zu zweit, dachte Caxton.
    »Konzentrieren Sie sich auf die Karte in Ihrem Kopf, selbst wenn Sie die Karte in meiner Hand ansehen. Für mich klingt das so, als hätte Deanna Angst vor der Zukunft. Angst, weil sie nicht weiß, ob Sie mit ihr zusammenbleiben wollen. Dabei ist es Ihnen nicht einmal in den Sinn gekommen, sie wegzuschicken.«
    Caxton biss sich auf die Lippe. Es fiel schwer, die Karte in Vestas Hand anzusehen, wenn sie an Deanna dachte. »Sie können auch ihre Gedanken lesen? Aber sie ist fünfzig Meilen weit weg.«
    Vesta seufzte. Sie legte die Karten ab und nahm eine weitere Zigarette aus dem Kästchen. Mittlerweile war es ihre fünfte. »Ich sehe den Teil von ihr, der in Ihnen existiert.« Sie verteilte die Karten auf dem Tisch. »Es ist hoffnungslos. Manche Menschen verstehen die Technik augenblicklich, während andere zusätzliche Hilfe brauchen. Mit genügend Zeit und genügend Sitzungen könnte ich Ihnen ein paar Grundzüge psychischer Selbstverteidigung beibringen. Für den Augenblick muss das hier reichen.« Sie klappte das Kästchen wieder auf und nahm ein Messingamulett an einem schwarzen Band heraus. »Tragen Sie das ständig, und versuchen Sie jeden Blickkontakt mit jemandem zu vermeiden, der Ihnen Schaden zufügen könnte.«
    Caxton nahm den Anhänger entgegen und legte ihn an. Das Amulett bestand aus einer engen Spirale, die als Schmuckstück durchgehen konnte. Caxton war froh – sie hatte schon mit einem Drudenfuß oder einem fürchterlichen Kruzifix gerechnet.
    »Die würden bei Ihnen nichts bewirken. Ihre Macht erfordert Glauben, über den Sie nicht verfügen.«
    Caxton berührte das kühle Metall an ihrem Hals. Deanna. Jetzt, da sie einmal an Deanna gedacht hatte, konnte sie nicht mehr damit aufhören. »Es geht nicht nur darum, sie nicht hinauszuwerfen. Ich will sie nicht so verlieren, wie ich meine Mutter verloren habe.«
    Vesta starrte sie an und sagte kein Wort. Es war, als erwartete sie von Caxton die ganze traurige, erbärmliche Geschichte über ihre wahnsinnige Mutter zu hören, über deren Depressionen nach dem Tod ihres Ehemanns, den anschließenden Selbstmord.
    »Sie hat sich aufgehängt«, sagte Caxton schließlich und errötete. »In ihrem Schlafzimmer. Ein Nachbar fand sie und schnitt sie ab, versuchte, sie etwas herzurichten. Meine Mutter war immer sehr stolz auf ihr Aussehen. Als ich eintraf, lag sie auf dem Bett, und ihr Haar war gekämmt

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