Der letzte Vampir
Gesicht erkennen. Aber dann streckte der Körper eine Hand nach ihr aus. Die Haut war verbrannt und blätterte an einigen Stellen ab. Die Finger waren mit geronnenem Blut verklebt. Sie konnte nicht einmal sagen, ob es eine männliche oder weibliche Hand war.
Trotzdem. Sie streckte ihre Hand aus und berührte die Finger. Sie schlossen sich um die ihren, aber dann wurde die Hand von ihr fortgerissen, die Trage bewegte sich fort. Jemand brüllte nach Blutplasma, und sie kniff die Augen zusammen und versuchte den Kopf klar zu bekommen.
Seit Stunden saß sie in diesem Korridor, ohne jede Ablenkung außer der konstanten Parade verstümmelter Körper, die vorbeifuhren. Sie hätte überhaupt nicht in diesem Korridor sein dürfen – für Leute wie sie gab es einen Aufenthaltsraum, komplett mit Fernseher und ein paar hundert Pfund Frauenzeitschriften für Heteros –, aber ein Cop hatte Privilegien. Die meisten der Rettungssanitäter und Schwestern, die vorbeieilten, hatten nicht einmal einen Blick für sie übrig, sie nahmen einfach an, sie bewachte den Eingang. Tatsächlich war sie hier auch nur ein Stückchen näher an Deanna dran. Sie würden sie nicht in den Operationssaal oder den Aufwachraum lassen. Näher würde sie nicht an Deanna herankommen.
Diese Hand. Sie war wie aus einem Traum erschienen, aber sie wusste, dass sie real gewesen war. Sie hatte sie berührt. Caxton schaute nach und entdeckte echtes Blut an ihren Fingern. Ihre Hand roch nach Benzin und Scheiße, ein Geruch, der ihr nur zu vertraut war. Der Geruch eines wirklich schlimmen Autounfalls. Die Hand war real und warm und lebendig gewesen.
So ganz anders als der Halbtote, den sie auf dem Boden ihres Schlafzimmers gefoltert und exekutiert hatte. So ganz anders als die Vampire, die gekommen waren, um ihr Leben zu zerstören.
Caxton seufzte, verschränkte die Arme und wartete. Sie hatte versucht, eine Zeitschrift zu lesen, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Bilder und Worte stiegen ungebeten in ihr hoch. Nicht einmal Dinge, die mit dem Fall zu tun hatten, nicht einmal Erinnerungen an Deanna, nur seltsame kleine Gedankenfetzen. Immer wieder fragte sie sich, ob die Milch auf der Küchentheke wohl schlecht werden würde. In der Küche war es so kalt gewesen wie draußen, da das Fenster nicht mehr da war. Jeder konnte durch das Loch einsteigen – sollte sie jemanden anrufen, das Haus überprüfen lassen, wenigstens das Fenster mit einer Sperrholzplatte verrammeln lassen? Und wenn sie das tat, sollte sie sie auch gleich bitten, kurz reinzugehen und die Milch in den Kühlschrank zu stellen?
Sie konnte ihre Gedanken nicht abstellen. So funktionierte das nicht. Nur Schlaf allein konnte das Gehirn ausschalten, und von Schlaf war sie endlos weit entfernt. Die banalen Gedanken, die endlosen, kreisenden Nichtigkeiten hatten einen Zweck, so quälend sie auch sein mochten. Sie hielten sie davon ab, an das große Thema zu denken, das eigentliche Thema. Die Gedanken, die ihr Angst machten.
Gedanken, die besagten, dass die Vampire sie töten wollten. Und dafür sogar ihre Sklaven aussandten, um jeden in ihrem Haus zu töten. Jeden. Die Halbtoten hätten vermutlich auch ihre Hunde getötet, nur um gründlich zu sein.
Gedanken wie der, dass Arkeley sich von ihr abgewandt hatte. Sie konnte sich nicht einmal darauf verlassen, dass er sie gegen die finsteren Dinge verteidigte, die ihr das Leben nehmen wollten. Er war noch nicht fertig mit ihr, er hatte noch Verwendung für sie, aber sie würde nicht aktiv an seiner Untersuchung teilnehmen.
Gedanken wie: Gab es wirklich einen Unterschied zwischen jemandem, der hypnotisiert wurde, damit er ein Fenster zerbrach und sich auf den Glasscherben aufspießte … und jemandem, dessen Gehirn eines Tages zu arbeiten aufhörte und der sich in seinem Schlafzimmer aufhängte? Ihre Mutter hatte einen guten Job und viel Geld gehabt. Sie hatte eine anständige Tochter gehabt, für die es sich zu leben lohnte, ein hübsches Haus, Bridgepartner, Gemeindetreffen. Ferien. Familie. Reisen. Ruhestand. Ihr Selbstmord war für jeden, der sie gekannt hatte, ein absolutes Rätsel gewesen. Er hatte ein Irrtum sein müssen, wirklich, etwas anderes war unmöglich.
Deanna hatte nichts, für das es sich zu leben lohnte. Keinen Job, eine Familie, die sie für das verachtete, was sie war. Eine Partnerin, die sich sorgte und Mühe gab, die aber einfach nicht die nötige Zeit für sie aufbrachte. Keine Zukunft. Kunst, die keiner verstand.
War
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