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Der letzte Vampir

Der letzte Vampir

Titel: Der letzte Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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durch. Der Halbtote auf dem Sarg explodierte in einer Wolke aus dreckigen Lumpen und Knochensplittern. Die anderen stießen ein Heulen aus und spritzten entsetzt auseinander. Einer kam direkt an ihr vorbei, nahe genug, um ihn zu packen. Sie ließ ihn entkommen – es gab Wichtigeres zu erledigen. Sie betrat die Feuerschneise und drehte sich langsam um die eigene Achse, schaute sich um, ob einer der Halbtoten mutig genug gewesen und geblieben war. Sie konnte keinen entdecken. Sie zwang sich, den Sarg zu ignorieren, bis sie davon überzeugt war, allein zu sein. Dann beugte sie sich vor, um ihn näher in Augenschein zu nehmen.
    Er war anders. Im Gegensatz zu den hexagonalen Kiefernsärgen der anderen Vampire hatte sich Reyes für ein Deluxemodell entschieden, schlicht und rechteckiger, mit Zierleisten. Einst war es ein schönes Stück Handwerksarbeit aus poliertem Kirschbaumholz gewesen. Die Messinggriffe hatten vermutlich hell gefunkelt – bevor man den Sarg Meter um Meter durch den Matsch gezogen hatte. Jetzt war das Holz mit dunkler Erde bespritzt, das eine Ende sah aus, als hätte man es in Schlamm getaucht.
    Sie trat näher heran und legte eine Hand auf das Oberteil, rechnete gewissermaßen damit, darunter die Präsenz des Bösen zu fühlen, aber da war nichts. Sie erinnerte sich an das kalte Gefühl, das sie in Malverns Nähe verspürt hatte, das Fehlen von Menschlichkeit. Hier konnte sie das Gleiche erwarten. Sie befeuchtete die Lippen und versuchte, den Sarg zu öffnen. Etwas hielt ihn verschlossen. Nun, das war logisch. Die Halbtoten hatten gewiss nicht gewollt, dass er unterwegs aufging. Sie tastete den Rand ab und fand drei Nägel, die den Deckel festhielten.
    Sie sprach in ihr Funkgerät, erhielt aber keine Antwort. War sie so weit gelaufen, dass sie außer Reichweite war? Unmöglich. Sie war sicher nicht mehr als eine Viertelmeile entfernt. Sie schaute sich um. Es war unwahrscheinlich, dass sie den Rückweg finden würde – und selbst wenn, würde das bedeuten, den Sarg zurückzulassen. Das Beste, das Vernünftigste wäre, dies zu akzeptieren, einfach zurückzulaufen, wieder Kontakt mit dem ART herzustellen und die anderen dann hoffentlich zum Sarg zu führen. Aber wie sollte sie das schaffen? Selbst wenn sie den Sarg nur wenige Minuten allein ließ, würden die Halbtoten bestimmt zurückkommen. Oder nicht?
    Ihre Sicht verschwamm, und es dauerte einen Moment, bis alle Konturen wieder scharf waren. Sie würde wirklich bald schlafen müssen. Sobald Reyes tot war, entschied sie. Sobald sie ihn getötet hatte. Sie zog das Magazin aus dem Sturmgewehr und schnippte die Patronen heraus. Die am Rand hervorstehenden Magazinlippen wiesen scharfe Eisenkanten auf, mit der sie die Nägel zerbrechen konnte. Das würde das Magazin garantiert kaputtmachen, das Gewehr war dann nutzlos. Aber sie hatte noch immer ihre Beretta, die sie auf den Sarg legte, wo sie sofort zur Hand war.
    Sie schob den hervorstehenden Magazinrand zwischen Deckel und Sarg und versuchte, den ersten Nagel durchzusägen. Das Magazin bewegte sich ein paar Mal hin und her, bevor es aus ihrem Griff und über ihren Handrücken rutschte, wo es einen blutigen Striemen hinterließ. Ein paar Blutströpfchen spritzten auf den Sarg, und ihr stockte der Atem. Jetzt würde sich Reyes dort drinnen rühren, würde ihn das Blut irgendwie rufen. Aber im Sarg bewegte sich nichts, als wäre er leer.
    Sie freute sich nicht darauf, hineinzusehen und mit den Maden, den Knochen und den verflüssigten Überresten konfrontiert zu werden, wie sie sie in Malverns Sarg gesehen hatte. Und dennoch. Dort würde auch Reyes’ Herz sein, getrocknet und zusammengeschrumpft, bis sie es mit den Händen zerquetschen konnte. Sie nahm das Magazin und zwängte es wieder unter den Sargdeckel. Sie stemmte ihr ganzes Gewicht dagegen, und der Nagel brach; das Holz ächzte, als er sich löste. Der zweite Nagel gab fast sofort nach. Schweiß sammelte sich unter dem Helm und rann ihr hinter den Ohren hinunter. Ihr Rücken schmerzte, und sie wusste, dass er gequält protestieren würde, sobald sie sich aufrichtete. Nur noch ein Nagel. Sie brachte das Magazin ein drittes Mal unter den Deckel, aber bevor sie zu sägen anfing, schloss sie die Augen und dachte an Deanna, wie sie blutig und hilflos auf dem Küchenboden gelegen hatte. Die Inbrunst, mit der sie Reyes vernichten wollte, gab ihr einen Teil ihrer Kraft zurück. Der dritte Nagel kam stückchenweise raus, sodass sie auf das Holz einhacken

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