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Der letzte Vorhang

Der letzte Vorhang

Titel: Der letzte Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
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>zehn<. Im zehnten Stock ist ein Zimmer eigens für Ihre
ungestörte Ruhe vorbereitet. Während Sie von Stockwerk zu Stockwerk
höhersteigen, spüren Sie, wie Sie sich mehr und mehr entspannen. Bis zum
dritten Stock empfinden Sie Frieden; bis zum vierten schließen sich Ihre
Augen.«
    Sie lauscht seiner Stimme, die langsam die
Zahlen sagt, eine nach der andern, Stockwerk auf Stockwerk, Woge auf Woge.
    »Sie befinden sich jetzt im zehnten Stock,
verlassen den Aufzug und gehen mitten ins Zimmer. Dort sind Sie von warmem
Licht umgeben. Ein Stuhl wartet auf Sie. Setzen Sie sich, Leslie, machen Sie
sich’s bequem, lauschen Sie dem Ozean. Der letzte winzige Rest von Anspannung
fällt von Ihnen ab.«
    Schrumpfen. Sie beginnt zu schrumpfen. Als ob sie
keine Knochen hätte. Keine Knochen, keine Knochen. Knochen ...
    »Stellen Sie sich vor, daß ich einen
gasgefüllten Luftballon an Ihr rechtes Handgelenk binde. Jetzt lasse ich den
Ballon lös, und Sie spüren einen Ruck, und sachte... eins... zwei... drei...
hebt sich Ihre Hand. Lassen Sie es geschehen, und während sie sich hebt, spüren
Sie, wie der letzte winzige Rest von Anspannung Ihren Körper verläßt.«
    Sie spürt den Ruck, fühlt die Hand sich heben,
heben... heben. Ihre Augenlider sind zu schwer, um sie zu öffnen.
    »Sie machen das sehr gut, Leslie. Sie werden ein
wunderbares Erlebnis haben. Jetzt binde ich den Luftballon ab, und Ihre Hand
schwebt hinunter und legt sich auf Ihren Schenkel.«
    Seine Stimme schweigt. Sie lauscht nach ihr,
möchte sie wieder hören, dann ist sie wieder da, und sie folgt ihr.
    »Jetzt, Leslie, stellen Sie sich vor, daß Sie in
dem warmen, gemütlichen Zimmer sitzen und auf einen Fernsehschirm schauen.
Drehen Sie den Wahlschalter, bis er am 18. März 1976 stehenbleibt. Sie arbeiten
in Ihrer ersten Broadwayshow, und Sie sind in Boston zur Voraufführung und
befinden sich in dem kleinen Hotelzimmer, das Sie mit Ihrer Freundin Terri
Matthews teilen. Es ist die Nacht vor der Premiere in Boston. Können Sie sich
sehen?«
    Das Zimmer ist ärmlich. Terri hat die Möbel
verrückt, damit die Betten nicht nebeneinanderstehen. Der schwache Geruch nach
Puder mischt sich mit Haarspray. L’air du Temps, Terris Parfüm, breitet sich in
der Luft aus. Regen schlägt gegen die Fenster, tropft wie schwarze Tränen ab, sickert
durch den morschen Rahmen.
    Sie starrt auf das Bild. »Es ist so dunkel.« Sie
kann sich nicht finden und hat Angst. »Wo?« fragt sie. »Wo? Wo bin ich?«

MORTON HORNBERG PRODUCTIONS
    234 West Forty-fourth Street
    New York , New York 10036
    9. Dezember 1994
     
    Mr. Conrad Berry
    Leitender Direktor
    Show Biz Shares
    163 West 46th Street
    New York , New York 10036
     
    Lieber Connie,
     
    Betr.: Combinations in concert
     
    In der Anlage erhalten Sie unseren rechtsgültig
ausgefertigten Vertrag für das obenerwähnte Ereignis.
     
    Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit.
    Mit besten Wünschen
    Edward Venderose
    Generalintendant
    EV/ns
    Anlage
    Durch Boten
    Kopien: Carlos Prince und Leslie Wetzon
     
     

43. Kapitel
    »Carlos, lach nicht. Vertrag heißt, es ist
amtlich. Langsam werde ich nervös. Ich bin keine dreiundzwanzigjährige
Ballettratte am Broadway. Im Januar werde ich vierzig. Ich habe seit zehn
Jahren nicht mehr auf einer Bühne gestanden.«
    »Schatz, keine Sorge. Schreib das auf.« Er
rasselte eine Telefonnummer herunter.
    »Wer ist das? Moment. Ich kenne die Nummer. Es
ist Chita.« Chita Rivera war das große Vorbild jeder Tänzerin. Sie tanzte mit
sechzig noch, trotz des schrecklichen Unfalls, nach dem die Ärzte erklärt
hatten, sie würde nie wieder tanzen können.
    »Also«, sagte Carlos gedehnt. »Muß ich mehr
sagen?«
     
    »Nur Geduld, Leslie. Sie brauchen keine Angst zu
haben. Es ist Nacht. Deshalb ist es dunkel. Lassen Sie Ihren Augen Zeit, sich
an die Dunkelheit zu gewöhnen.«
    Sie hörte sich langsam und tief atmen. »Da sind
zwei Betten«, sagte sie. »Terri hat ihres an die andere Seite des Zimmers
gerückt. Leslies steht unter dem Fenster, und es regnet herein auf sie... mich.
Es regnet herein auf mich. Ich liege im Bett. Ich friere. Das Zimmer hat keine
Heizung. Es ist kalt in Boston.«
    »Ja, das stimmt. Es ist die Nacht vor der
Premiere. Sind Sie mit den anderen Schauspielern fortgewesen?«
    »Wir sind alle ausgegangen, um Bier zu trinken
und chinesisch zu essen. Ich kann die Rippchen riechen. Sie waren sehr gut.«
    »War Terri dabei?«
    »Ich glaube ja... nein... Moment... sie sollte
kommen,

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