Der letzte Vorhang
gekommen.
Er brummte im Schlaf. Unglaublich. Zwei Calzoni
— er hatte die zweite für sie mitgebracht, und sie hatte klugerweise abgelehnt
— und zwei Bier, und er tat nichts, als im Schlaf zu brummen. Sie hätte die
schlimmsten Alpträume bekommen und wäre um halb drei hellwach gewesen. Was
blieb ihr jetzt als Ausrede?
Sie beugte sich hinüber, küßte seinen Nacken und
atmete die sexy Mischung aus Schweiß und Knoblauch ein. Als er sich nicht
rührte, stand sie vorsichtig auf.
Durch das eine Handbreit geöffnete Fenster drang
der Winter mit kleinen kräftigen Nordwindböen ein, die an den hölzernen Läden
rüttelten. Izz hob den Kopf, sah Wetzon an, überlegte, ob es sich lohnte, ihre
bequeme Lage aufzugeben, und kuschelte sich dann fester an Silvestri.
Mit dem Doctorow ging Wetzon ins Wohnzimmer und
schlüpfte unter die Wolldecke, die sie und Carlos während der Spielzeit von Chicago hinter der Bühne gehäkelt hatten und jetzt abwechselnd aufbewahrten. Die Worte
tanzten auf der Seite, brachen ab, kamen wieder. Aber sowie sie die Augen
schloß, erschien der Schrankkoffer vor ihr, und sie war wieder hellwach.
Das war es also. Sie hatte den ganzen
Nachmittag, den ganzen Abend versucht, es aus ihren Gedanken zu verbannen, aber
es funktionierte nicht. Es hatte sie wachgestupst und ließ sie jetzt nicht mehr
einschlafen.
Sie stand auf, wickelte die Wolldecke um sich
und holte ein Glas Wasser, das sie langsam trank, während sie in dem offenen
Durchgang zu ihrem Wohn-Eßzimmer stand. Sie liebte diesen Raum mit seinen
erdigen Farben, den Stickley-Mö-beln und dem alten Wandbehang mit dem
Sonnenaufgang über dem Sofa.
Silvestris Aktentasche stand auf dem Boden neben
dem Tisch mit der Marmorplatte. Sie setzte sich auf den Teppich und legte die
Tasche flach hin. Als sie sie öffnete, lag der braune Umschlag mit den Fotos
vom Tatort gleich oben auf seinen sauberen Hemden in ihrer Wäschereiverpackung.
Vorsichtig öffnete sie die Lasche und zog die
Fotos heraus. Grauenhaft. Sie kam sich wie ein Voyeur vor, konnte sie aber
dennoch nicht weglegen. Langsam blätterte sie die Fotos durch, als ob sie etwas
suchte. Sie wußte nicht, was.
Jedes Foto trug das Etikett »Beweisstück,
Mordkommission«, dazu eine Fallnummer; unten ein M (wofür? Mord? Motiv? Nein,
eher für Manhattan), das Datum und ein Zentimetermaßstab.
Der Schrankkoffer wieder, geschlossen. Offen.
Ein weiteres Foto des offenen Koffers, diesmal ohne die Knochen. Kleidung,
vermodert. Ein Foto von Gegenständen aus dem Koffer, jeder ausgebreitet und
numeriert. Sie betrachtete sie genau. Was war das? Es sah aus wie das gezackte
Stück einer Keramikkachel. An der Bruchkante und darüber handgeschrieben das
Wort >Für<. Es dauerte lange, bis sie sich regen konnte.
Schließlich stemmte Wetzon sich hoch und tappte
hinüber zu den wandhohen Bücherregalen. Irgendwo auf einem der Bretter mußte
ein altes, nie benutztes Vergrößerungsglas vom Flohmarkt liegen. Ah, da. Sie
holte es herunter und trug das Foto zum Eßtisch; dort legte sie es flach unter
die Lampe und hielt das Vergrößerungsglas darüber. Ihre Hand zitterte. Jemand,
der das Ding nicht kannte, würde es in diesem Zustand nicht wiedererkennen...
Sie hatte es erkannt, weil sie genauso eine Kachel besaß.
Als sie das Vergrößerungsglas wieder auf das
Bücherregal legte, zitterte sie. Dann begann sie zu suchen. Sie fand, wonach sie
suchte — ein Regal weiter und zwei Bretter tiefer — , nahm die Kachel von dem
Ständer und trug sie zum Tisch.
Es war eine Keramikkachel mit dem leuchtend
magentaroten Logo von Combinations. Davey Lewin, der Regisseur, hatte
jedem Mitglied des Ensembles eine davon mit einer persönlichen Widmung
geschenkt.
Auf Wetzons Kachel stand: Für Leslie, ihre
wundervollen Kombinationen, mit herzlichen Grüßen von Davey.
MEMORANDUM
An: Carlos Prince und Leslie Wetzon
Von: Nancy Stein, Assistentin von Mort Hornberg
Datum: 16. November 1994
Betr.: Combinations in concert
Beigefügt eine Kopie des revidierten Budgets,
das eine Alternativrechnung für schlechten Kartenverkauf einschließt. Für Ton-
und Beleuchtungsmiete wurde nichts eingesetzt.
10.
Kapitel
»Siehst du«, sagte Carlos, »ich habe recht. Mort
vermietet uns seine eigene Ausstattung.«
»Also ich weiß nicht, Schatz. Das wäre wirklich
hinterhältig, wenn es stimmt. Wenn er den Kram besitzt, soll er ihn für diese
Produktion stiften. Das ist doch das mindeste, was man erwarten
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