Der letzte Vorhang
schulterlang, aber es hatte
einen entschiedenen Stich ins Rote. Der Gürtel ihres schwarzen Regenmantels
baumelte lose von einer abgerissenen Seitenschlaufe. Eine schwarze lederne
Umhängetasche und eine schmudelige Aktentasche vervollständigten das Bild. Sie
gab Wetzon die Hand.
»Was?« fragte der alte Mann.
»Vergiß es«, antwortete die alte Frau.
»Was?«
»Golden Oldies als Hintergrundmusik«, erklärte
Wetzon.
»Danke, daß Sie gekommen sind«, sagte Peiser.
»Einen schwarzen Kaffee, bitte«, wandte sie sich an den Kellner. »Und einen
getoasteten Bagel.« Sie sah Wetzon an. »Ich hatte kein Mittagessen. Möchten Sie
etwas?«
»Noch einen koffeinfreien.« Als der Kellner weg
war, fragte Wetzon: »Oder sollte ich etwas Stärkeres trinken?«
»Vielleicht.« Marissa schüttelte den Mantel ab,
so daß er halb über der Lehne, halb auf dem Boden lag. Sie trug ein graues
Kostüm mit einer roten Seidenbluse, die am Hals mit einer Schleife geschlossen war.
Die Schlaufe hing schlaff herunter. Mit einem zerknitterten Papiertuch, das sie
aus der Handtasche holte, schneuzte sie sich. Ihre Augen drückten Sorge,
gepaart mit Verläßlichkeit aus. Wetzon mochte sie. Sie spürte, daß Peiser sie
nie anlügen würde.
»Worum geht es also?«
»Ich glaube, wir müssen Sie als Zeugin aufrufen
— die vor der Anklagejury aussagt. Es tut mir leid.«
»Mir auch. Das bedeutet, daß ich wegen Einbruchs
belangt werden kann.«
»Wir gewähren Ihnen Straffreiheit. Ich werde das
mit Arthur Margolies vereinbaren.«
»Okay, aber da ist noch etwas, das es nicht
ist.«
Der Bagel und frischer Kaffee wurden gebracht,
als Peiser einen gelben Stenoblock aus ihrer Aktentasche zog. Sie legte den
Block hin, brach ein Stück vom Bagel ab und biß hinein. »Und das ist was?«
»Was?« Der alte Mann erhob wieder die Stimme.
»Ich habe gesagt, frage ihn nach dem Rabatt.
Ach, vergiß es.«
Marissa aß, und Wetzon sah zu, wie die alten
Leute ihre Rechnung bezahlten und gingen. Fast tat es ihr leid, sie gehen zu
sehen; sie hatten etwas Entspannendes an sich gehabt.
»Jemand hat am Dienstag auf eine meiner
Angestellten geschossen. Hat sie nur knapp verfehlt. Ich habe gefunden, was von
der Kugel übrig war. Heute kam ein Detective vorbei, um die Geschichte zu
untersuchen. Er meint, der Schuß könnte mir gegolten haben, weil sie einen
Waschbärmantel trug, der so ähnlich wie meiner aussieht.«
»Hartmann?«
»Wer sonst? Vielleicht hat er herausgekriegt,
daß Sie mich als Zeugin aufrufen.«
»Er würde es nicht selbst tun, aber er kennt
genug Leute«, meinte die Staatsanwältin nachdenklich. »Vielleicht versucht er
einfach, Sie einzuschüchtern.«
»Mit Erfolg. Sprechen Sie mit Detective Metzger
im Siebzehnten.«
»Wir werden Sie beschützen.«
»Tausend Dank. Wie denn? Machen wir uns nichts vor
— so etwas können Sie nicht. Ich ziehe mich nicht in ein Versteck zurück.
Schließlich muß ich eine Firma führen. Wann werden Sie mich brauchen?«
»Gleich nach Thanksgiving.«
»Ich kann es kaum erwarten.«
Marissa griff nach der Rechnung. Ihre Hände
waren rissig, und an einem Finger hatte sie einen Tintenfleck. »Ich muß in mein
Büro zurück.«
»Treffen Sie sich noch mit Riccardi?« Riccardi
hatte in dem Mordfall Brian Middleton ermittelt, als Wetzon der Staatsanwältin
zum erstenmal begegnet war.
Peiser lächelte. »Polizisten und Staatsanwälte
sind ein passendes Gespann. Ja, wir sind noch zusammen. Und Sie und...«
»Silvestri. Ebenfalls.«
Auf der Straße schüttelten sie sich noch einmal
die Hand und gingen auseinander, Wetzon in westlicher Richtung, um Smith im Fresco
zu treffen. Die Nacht war hereingebrochen, während sie und Peiser im Broadway
Diner gesessen hatten, und jetzt trieb ein kalter Wind Staub und Papier in
kleinen Wirbeln vor sich her.
Sie hatte Peter Koenig nicht angerufen, was gar
nicht ihre Art war. Anders als Smith, die es aus Prinzip nicht tat, beachtete
sie Nachrichten auf dem Anrufbeantworter immer. Sie würde später von zu Hause
mit ihm telefonieren. Warum tauchte er ausgerechnet jetzt auf, fragte sie sich,
wo Terri gerade...?
Natürlich erinnerte sie sich recht gut an ihn.
Peter Koenig gehörte zu jenen wirklich netten Kerlen, die man nicht heiratete.
Groß und dunkelhaarig, war er Wetzon immer als aufrichtig erschienen,
vielleicht zu aufrichtig — und aufdringlich. An die Aufdringlichkeit erinnerte sie
sich deutlich. Plötzlich hatte sie Terris Ärger vor Augen, als er während der
Proben
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