Der letzte Walzer in Paris - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
täglichen Streifzügen. Die Bäckersfrau, eine fette Maghrebinerin mit einer Warze am Kinn, gab ihm jeden Tag ein knuspriges Pain de Campagne. Es war ein Geheimtipp. Keiner der anderen, die täglich ihren Rundgang durch die Zone machten, wusste davon. Die Bäckersfrau hatte er vor vielen Monaten zufällig in der Zone getroffen. Sie hatte ihn dabei beobachtet, wie er die Abfallkörbe durchsuchte, und ihn angesprochen. Ihr Mitleid und ihre mütterliche Art waren ihm von Anfang an auf die Nerven gegangen.
Doch ihr Brot war gut und ihr tägliches Abendessen.
Als er in die Rue Chaligny einbog, sah er den Menschenauflauf vor dem Geschäft für Radios, Waschmaschinen, Bügeleisen und Fernsehapparate. Er näherte sich der Menge, die durch die Schaufensterscheibe ins Innere des Ladens starrte. Dort stand ein eingeschalteter Fernseher, auf dem bizarre Bilder zu sehen waren. Ein Flugzeug raste in einen hohen Turm. Daneben stand ein weiterer Turm, aus dem dichter Qualm drang. Immer wieder wurden diese Bilder gezeigt, nur kurz unterbrochen von den Einblendungen eines Moderators, der sehr aufgeregt wirkte. Hier draußen auf der Straße verstand man nicht, was gesagt wurde. Die endlose Wiederholung dieser stummen Bilder hatte etwas Bedrohliches, Unbegreifliches. Von links ein Flugzeug, das in einen Turm rast. Eine Explosion, Feuer, Rauch.
Die anderen neben ihm starrten ebenso gebannt wie er auf den Bildschirm. Niemand wusste, was diese Bilder zu bedeuten hatten. Dann verlor er das Interesse, drehte sich um und schlenderte die Straße entlang. Das in Papier eingewickelte Pain de Campagne verströmte einen köstlichen Duft. Er musste an sich halten, um nicht ein Stück der knusprigen Kruste abzubrechen. Doch dann hätte er Ärger mit Dolly bekommen. Wegen solcher Kleinigkeiten konnte sie sich wahnsinnig aufregen.
Am Morgen hatte er auf Dollys Abreißkalender (ein Werbegeschenk des Discounters) gelesen, dass heute der 11. September war.
Für ihn ein Tag wie jeder andere.
Immer noch lag dichter Nebel über der Stadt. Er machte sich auf den Heimweg.
Etwas musste geschehen.
6. KAPITEL
D ie Filiale der Bank Credit Lyonnais, bei der Griseldis Geminard ihre Konten hatte, befand sich auf dem Boulevard Beaumarchais. Von der Wohnung der Ermordeten in der Rue Barbette bis zur Bank ging man normalerweise etwa zehn Minuten zu Fuß. Eine alte Dame mochte etwas länger brauchen, vielleicht die doppelte Zeit. Mit dem Wagen fuhr man mindestens eine Viertelstunde, da aufgrund der vielen Einbahnstraßen Umwege entstanden.
Franck lenkte den Wagen über die Rue des Francs Bourgois. Sonnabends waren hier viele Menschen unterwegs. Designerboutiquen, kleine Restaurants, Galerien und exquisite Delikatessengeschäfte lockten Flaneure und Käufer an.
Nach dem Unwetter am Vormittag hatte sich der Himmel aufgeklart, und das matte Oktoberlicht suchte sich zaghaft einen Weg in die engen Straßen. Einige Sonnenstrahlen fielen ins Wageninnere, als Franck an einer roten Ampel bremste, und tanzten auf seinem Gesicht. LaBréa warf einen Blick auf seinen Mitarbeiter. Hauptmann Franck Zechira, Spross einer algerischen Einwandererfamilie, war wieder in seine alten Gewohnheiten
verfallen. Seine kurzgeschnittenen Haare klebten fettig am Kopf. Mit dem Dreitagebart wirkten Francks Wangen scheckig und eingefallen. Die speckige Lederjacke schien einiges durchgemacht zu haben. Der beigefarbene Rollkragenpullover sah ausgeleiert und schmuddelig aus. Ein unangenehmer Geruch nach Schweiß und ungelüfteten Kleidern ging von ihm aus. Mit einem Wort: Franck wirkte ungepflegt und leicht heruntergekommen. Im letzten Winter hatte sich sein äußeres Erscheinungsbild für kurze Zeit schlagartig verändert. Plötzlich trug er gut sitzende Bundfaltenhosen statt seiner ausgewaschenen Jeans, kaufte sich schicke Hemden und duftete nach einem edlen Rasierwasser. Damals war er bis über beide Ohren in Dr. Helene Clement, die attraktive Gefängnisärztin der Sante, verliebt gewesen. Dass diese Frau als zweifache Mörderin überführt wurde, hatte Franck bis ins Mark erschüttert. Aufgrund seiner persönlichen Verstrickung war er von den Ermittlungen ausgeschlossen worden. Während einer Verhörpause hatte Helene Clement auf der Damentoilette des Justizpalastes Selbstmord begangen. Franck hatte einige Wochen gebraucht, um sich von dieser Geschichte zu erholen. Ob er inzwischen wieder eine Freundin hatte, wusste LaBréa nicht.
Als könnte Franck die Gedanken seines Vorgesetzten lesen,
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