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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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gehofft.«
    Auf diesen Gedanken war ich auch schon gekommen, dass dies ein Ausweg für sie war. Allerdings war da die Vergangenheitsform: Vielleicht
habe
ich darauf gehofft. Wenn sie es gewollt hatte, so tat sie es nun nicht mehr. Zumindest nicht rundheraus.
    »Es gibt noch etwas Besseres, als denjenigen zu töten, den man liebt«, sagte ich. Ich löste mich aus ihrer Umarmung, drückte sie sanft auf den Rücken, hielt ihre Handgelenke über ihren Kopf, stieg auf sie, spürte, wie sich ihre bettwarmen Schenkel langsam öffneten. Ihre Augen und Ohrringe, ihre Lippen und Zähne funkelten in der Dunkelheit.
    »Etwas Besseres?«
    Sie hob die Hüften, ich drang in sie ein.
    »
Mit
demjenigen zu töten, den man liebt«, sagte ich.
    Erst hinterher, als sie schon schlief (die Frage, wie es sich wohl anfühlte, das Schlimmste zu kennen, war einer der Punkte gewesen, die sie nicht hatten schlafen lassen; nun hatte sie den Gedanken zugelassen, Platz für ihn gefunden und sich der Erschöpfung ergeben, ein gnädiges schnelles Entgleiten in den Schlaf), wusste ich, es gab keinen Grund, Talulla zu sagen, dass Arabella schwanger gewesen war und dass ich mit ihr auch das einzige Kind, das ich jemals haben würde, umgebracht und gefressen hatte.

41 .
    In den großen Weiten des Landes verblassen die amerikanischen Götter: Elvis, John Wayne, Marilyn, Charles Manson, JFK . Da draußen sind sie wie zarte Wolken, dahinter nichts als blaue Leere. Einige Menschen treibt das in den Wahnsinn. Amerikaner wissen das und sammeln sich aus kollektiver Intuition an den Küsten.
    Das Leben reduzierte sich auf die Ausmaße eines Autos. Schlafmangel und die immer tiefer werdende Schneewehe der zurückgelegten Meilen verwischten alle Kategorien, führten zu absurden Unterhaltungssträngen, von Tom Cruise’ Karriere zu WOKOP -Genetik, von Obama zur Fragmentarisierung des Feminismus, von der Geschichte der Jagdgesellschaft zur Verfilmung von
Der Herr der Ringe
. Dazwischen Texaco, Gospel, Sturmfronten, Vogelscheuchen, Jack Daniels, Camel Filter (die Markengottheiten erwiesen sich als überraschend zäh), Sex, Sterne, Automaten und die immer enger werdende Schraube des Hungers. Talulla wollte alles wissen, über Harley und Jacqueline Delon, über Cloquet, Ellis und Grainer, die Fünfzig Familien. Und das war nur die Gegenwart. Ich konnte mit zweihundert Jahren Vergangenheit aufwarten, Orte, an denen ich gewesen war, Menschen, die ich kennengelernt, Dinge, die ich gesehen hatte. Ganz gleich, wie viel ich ihr erzählte, es gab stets noch mehr. Aber Talulla wollte auch reden. Der Fluch hatte ihre Erinnerungen nicht angegriffen, aber sehr wohl ihr Gefühl dafür, dass sie ein Anrecht auf sie hätte. Sie waren unaussprechlich geworden. Und ich saß da, aß vom Kuchen der Erinnerungen, der nicht kleiner zu werden drohte. Talullas ungestillter Kummer galt der verlorenen Familienwärme. Die Sippschaft ihrer Mutter war groß gewesen, hatte sich aus irischen Charakterköpfen, ja Klischeegestalten zusammengesetzt, Riesen im Trinken und in Rührseligkeit, all dies gewickelt in den großen, blutbefleckten Wandteppich des Katholizismus. Die Onkel. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatten diese Männer sie mit ihren riesigen wurstfingrigen Pranken hochgehoben, sie in all dem Whiskydunst und den wuscheligen Haaren auf ihre Schultern gesetzt und fabelhaften Blödsinn erzählt. Die Frauen brachten ihr das Tratschen bei und die Kunst, den Männern die Luft rauszulassen. Das war ihre Schablone für das Glück gewesen. Das und die tiefe Gemeinsamkeit mit ihrem langmütigen Vater, dessen kleiner Kobold sie war und der sie leichtsinnigerweise von vorn bis hinten verwöhnte. Er hatte nicht nur Helden und Götter anzubieten, um sie damit zu unterhalten, sondern auch schwarze Löcher und Kometen und das genaue Gewicht der Sonne. Unter den Gilaleys hatten sich die sowieso nur noch geringen Spuren des Griechisch-Orthodoxen bei Nikolai in nichts aufgelöst.
    »Er fing gleich mit der Kapitulation an«, erzählte Talulla. »Er konvertierte, um meine Mutter heiraten zu können. Das machte ihn in ihren Augen natürlich kleiner, aber ohne das hätte sie ihn niemals geheiratet. Sie konnte diese Widersprüche alle mühelos in sich tragen. Aber ich sollte besser schweigen, bei all dem Müll, den ich mit mir rumtrage.«
    »Du glaubst also an Gott?«
    Wir waren in Nebraska, südlich des Middle Loup River, östlich der Sand Hills. Es war Abend, kalt, seit einer Stunde, wir hatten gerade

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