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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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wirst all das Verdammen ganz allein erledigen.
    »Fühl mal«, sagte sie und spreizte ein wenig die Beine.
    Sie war feucht. Es gab das Töten. Es gab das Fressen. Und es gab das hier. Die zentrale Monstrosität. Was es mit einem machte. Man konnte nicht damit leben, ohne mit diesem Aspekt leben zu müssen.
    Ich ließ meine Hand, wo sie war. Streichelte sie. Diese zentrale Monstrosität hatte Talulla beinahe dazu gebracht, sich selbst umzubringen. Sie hatte es aber nicht getan. Und wenn man sich das eine Mal nicht umbringt, ist alles vorbei.
    »Ich bin klüger, wenn ich mich verwandle«, sagte sie. »In all den schlimmen Dingen. In all den wichtigen Dingen.«
    »Ich weiß, Lu.«
    »Ich habe gedacht, so eine Art rote Wolke würde sich über mich senken, so eine Art animalischer Schwärze, die alles verdeckt und nur noch den blanken Instinkt übriglässt, aber so ist es nicht.«
    »Nein.«
    »Ich weiß, was ich da tue. Und es ist nicht nur so, dass ich es mag – ich mag es nicht nur …«
    »Ich weiß.«
    »Ich liebe es.«
    Wir schwiegen für einen Augenblick. Ihr Haar bildete einen dunklen weichen Kranz um ihren Kopf auf dem Kissen. Das Böse will erwählt werden.
    »Ich habe es geschmeckt«, fuhr sie ruhig fort. »Alles. Seine Jugend, seinen Schock, seine Verzweiflung, sein Entsetzen. Und vom ersten Biss an wusste ich, ich würde erst aufhören, wenn ich alles hatte. Die ganze Person, das ganze verdammte Festmahl.«
    Als Reaktion auf mein Streicheln bewegte sie ganz sanft ihre Hüften. Ihr innerer Streit darüber, was sie war, was sie bereit war zu sein, war faktisch vorüber. Ihr größeres Ich hatte den Schritt getan, hatte es akzeptiert. Nun blieben nur noch Reste emotionaler Verpflichtungen.
    »Danach«, sagte sie und erhob sich ein wenig, als ich ihr meinen Finger in den Anus schob, »danach dann das Gerede, die Versprechen, so etwas nie wieder zu tun.«
    Es wird leichter, hätte ich ihr versichern können. So ist das nun mal, bei den Menschen wie bei den Werwölfen, die schwierigen Dinge werden immer leichter. Mach weiter, und in ein, zwei Jahren wirst du dir ein Opfer suchen, wie du Weintrauben vom Stängel zupfst.
    »Das ist das Schlimmste«, sagte sie, drehte sich zu mir um, drängte sich an meine Hand. »Das ist das Schlimmste.«
    Wir
sind das Schlimmste, meinte sie. Wir sind das Schlimmste, weil für uns das Schlimmste das Beste ist. Und es ist für uns nur das Beste, wenn es für jemand anderen das Schlimmste ist.
    Es gibt Augenblicke, da ist der Satz »Ich liebe dich« eine Blasphemie, die des Teufels wert wäre.
    »Ich liebe dich«, sagte ich.
     
    Viel später, als wir schon eine ganze Weile im Dunkeln gelegen und dem Regen gelauscht hatten, spürte ich, wie die letzte Barriere zwischen uns verschwand. Es war, als sei das dehnbare Instrumentarium der Nacht plötzlich auseinandergefallen. »Du hast deine Frau getötet, stimmt’s?«, fragte Talulla.
    Sie kannte die Antwort schon. Hatte es beim Sex gewusst. Sie lag mit mir hier und ich wusste es. Dies zu akzeptieren war, mehr noch als die eigenen Schlächtereien, der Beweis dafür, dass sie eine neue Welt betreten hatte.
    »Ja«, antwortete ich.
    Stille. Nachdenklich, nicht schockiert. Ich spürte, wie sie nach einer Erklärung suchte –
früher oder später musste es ja dazu kommen, die Alternative wäre gewesen, sie selbst zur Werwölfin zu machen, was mindestens genauso schlimm gewesen wäre, denn dann hätte sie vierhundert Jahre Zeit, dir das niemals zu verzeihen
– und dann auf die nicht zu rechtfertigende Wahrheit stieß: Zu töten, was man liebt, lässt sich mit nichts anderem vergleichen.
    »Es war gut«, sagte sie. Eine Feststellung, keine Frage. Die Einsicht, bei der die alte Blume verdorrt und die neue aufblüht.
    »Ja.«
    »Weil du sie geliebt hast.«
    »Ja.«
    Und damit waren wir bei einer sehr klaren Schlussfolgerung angelangt. ›Sie wird ein besserer Werwolf sein als ich‹, dachte ich (und mit diesem Gedanken ging mir zum ersten Mal richtig auf, dass sie nicht mal ein Fünftel so alt war wie ich, dass sie nach meinem Tod die Hälfte ihres Lebens in einer Welt führen würde, die jenseits meiner Vorstellungskraft lag). Schon jetzt verfügte sie über ein Verständnis der Lage, das zu erlangen ich Jahrzehnte gebraucht hatte. Schon bald, in ein, zwei Jahren, würde ich mir alle Mühe geben müssen, Schritt zu halten.
    »Vielleicht tötest du mich«, sagte sie und drückte ihre Hand flach an meine Brust. »Vielleicht habe ich darauf

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