Der letzte Werwolf
zum Beweis des Gegenteils bestand die Welt entweder aus Vampiren oder der WOKOP .
Die Meilen schnurrten nur so dahin; keinerlei Anzeichen dafür, dass wir verfolgt oder beobachtet wurden.
Wir durchquerten die Rocky Mountains in westlicher Richtung. Keine gute Idee, wo doch
Wolf
so nah war. Die in uns schlummernde Kreatur verlangte es nach den ungeheuren Weiten. Breite Bergflanken voller Schnee. Große Steinknie, die aus dem Meer der Bäume ragten. Als wir anhielten und ausstiegen, war die Luft dünn und mineralisch. Talulla hatte Fieberanfälle, und wenn es schlimm wurde, schwitzte und zitterte sie, obwohl sie in eine Decke gehüllt war: Nach diesen Anfällen kehrte sie zu klarster Wachheit zurück, wie ein Kind nach dem Abendbad. Wir redeten immer weniger miteinander. Der Abenddämmerungshimmel mit den ersten Anzeichen von Sternen war unser Element. Meilen um Meilen bedeutungsvolle Stille im Wagen. Ich beobachtete sie beim Fahren, und ihre dunklen Augen verrieten die zunehmende Unterordnung unter das, was kam, was sie war. Der Blick eines kleinen Mädchens, das ein Geheimnis hat, von dem es weiß, dass es die Welt der Erwachsenen zum Einsturz bringen kann.
Kein Sex mehr. Ohne groß darüber gesprochen zu haben, stellten wir fest, dass wir ganz taub waren; wir hatten wohl eine Höhe des Verlangens erreicht, die so extrem war, dass sie ins Gegenteil umschlug, wie das bei allen Extremen ist. Ich konnte sie kaum berühren, und sie mich auch nicht. Das überraschte uns nicht.
Wolf
hatte seine rätselhaften Notwendigkeiten und forderte nun, da der große Höhepunkt nahte, einen kleinen Preis an Reinheit, einen kleinen, saubergefegten Vorraum vor der Halle majestätischer Obszönität.
In den frühen Stunden des zehnten Tages ließen wir straßenmüde und rotäugig Nevadas Berge hinter uns, der Hunger zwang wölfisches Leben durch menschliche Erschöpfung, und kamen südlich von Lake Tahoe mit seiner schneidenden Luft nach Kalifornien.
Bis zur Verwandlung waren es noch zwei Tage.
42 .
Meine letzte Beute in Kalifornien hatte ich vor zweiunddreißig Jahren im Sommer 1977 gerissen. Led Zeppelin hatten im Oakland Coliseum gespielt, und eine Wagenladung Fans war nach dem Konzert nach Muir Woods gefahren, um Acid einzuwerfen und zu vögeln. Ich hatte vorgehabt, weiter nördlich ins Napa Valley zu gehen (die Wälder sind ein wenig zu nah an der Stadt, ab und zu kommt ein Park Ranger vorbei), doch als ein junger halluzinierender Mann, knabenhaft, mit präraffaelitischen blonden Locken, bei denen die von Robert Plant grau vor Neid geworden wären, sich unklugerweise von seinen halluzinierenden Freunden entfernte und mir beinahe in den Schoß fiel … tja. Er spürte keinen Schmerz. Da bin ich mir ziemlich sicher. Wenn ich die Tage des Trostes nicht schon lange hinter mir gehabt hätte, dann hätte ich mich wohl mit dem Gedanken getröstet, dass ich für ihn nicht mehr gewesen war als eine erschreckende – und finale – Halluzination. Eine ganz und gar träge Jagd. Ich machte mir kaum die Mühe, seine Überreste zu verscharren. Der Bursche wurde drei Tage später gefunden, doch da war ich schon in Moskau.
Talulla ging es schlecht. Wir nahmen uns ein Motelzimmer am nebligen Highway 68 östlich von Carmel, und ich ließ sie in der heißen Badewanne sitzend zurück. Ein unvermeidliches Risiko: Der Mondaufgang am folgenden Tag brachte gewisse Notwendigkeiten mit sich. Ich musste Vorkehrungen treffen. Außerdem hatte ich seit New York keinerlei Spuren von Verfolgern festgestellt. Wir hatten neue Handys: Kontrollanrufe jede Stunde. Wenn sie etwas Verdächtiges sah oder spürte – ganz gleich was –, sollte sie sich unter die Menschen mischen und mich anrufen. »Ist das jeden Monat so schlimm bei dir?«, hatte ich sie gefragt. Sie saß blass und mit totem Blick in der Wanne und zitterte. Ihre kleinen Brüste hatten trotz des warmen Wassers eine Gänsehaut, und die Nippel standen hübsch hervor.
»Mindestens.«
»Himmel, wie hältst du das aus?«
Sie sah mich nur an, biss die Zähne zusammen, im Namen aller Frauen. Meine eigene dem Fluch vorangehende Prozedur aus kochendem Blut und knirschenden Knochen machte sich bemerkbar. Die vorzeitigen hybriden Hände und Füße spielten mir einen Streich (Vorsicht hinter dem Steuer, Marlowe), Wolfsbilder huschten mir durch Schultern und Hüftknochen. Ich komme damit zurecht, indem ich in Bewegung bleibe. Still zu sitzen macht die Sache nur noch schlimmer. Bei Lula nicht. Sie
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