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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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den Rücken gepresst / an den Staub des braunen Kontinents / Schau’n sie der Sonne zu, nun westlich dort von ihrem West …
    »Und plötzlich«, fuhr Talulla fort, »plötzlich sehe ich da mitten in all dieser Leere wie einen Witz einen einsamen Wohnwagen. Eine Wäscheleine, ein Pick-up, ein Hund. Jemand wohnt dort ganz allein. Zu Anfang habe ich auch mit dem Gedanken gespielt, so weit wie möglich von den Menschen wegzukommen. Alaska vielleicht. Die Arktis.« Ein Lufthauch flimmerte im Gras am Straßenrand. Talulla zog noch mal an der Zigarette und trat die Kippe dann mit der Stiefelspitze aus. »Aber dafür bin ich nicht geschaffen«, sagte sie. »Für die Einsamkeit.«
    Ich nahm sie in die Arme, küsste sie, spürte ihre kompakte Wärme unter der Lederjacke. Ihr Haar roch nach Zigarettenqualm und Frischluft. Ich war mir der genauen Ausmaße des Raums, den wir einnahmen, unserer beiden Körper, der Meilen ringsherum sehr bewusst. »Weißt du, wie du aussiehst?«, fragte ich. »Wie eine dieser Schauspielerinnen in einer Episode aus einer Krimiserie in den Siebzigern.
Cannon
oder
Ein Sheriff in New York
oder
Petrocelli

    »Ich will dich ja nicht erschrecken, aber von denen habe ich noch nie gehört.«
    »›Gaststar Talulla Demetriou als Nadine. Produktion Quinn Martin.‹ Sie waren so schön, diese Frauen, dass es den Männern das Herz brach. Das liegt an deinem Schönheitsfleck und deiner hohen Stirn und dem Mittelscheitel.«
    »Das klingt nicht sonderlich attraktiv«, entgegnete sie. »Außerdem kannst du ruhig Leberfleck dazu sagen, das ist nämlich einer, weißt du?«
    Ich schob sie ein wenig von mir und betrachtete sie. Der Hunger spannte bereits die Haut um die Augenhöhlen herum, doch ihr Gesicht hatte noch immer seine Schätze, die langen Wimpern und dunklen Augen, den Mund von der Farbe rohen Fleischs. Ein Blick, der von zerbrechlicher Beherrschung der dämonischen Kräfte sprach. Es hatte so viel nur von uns beiden gegeben, dass wir kaum das Bedürfnis verspürt hatten, uns gegenseitig beim Namen zu nennen, doch früher am Tag hatte sie in einem kleinen Laden etwas gesagt, dass ich nicht mitbekommen hatte, und sie hatte »Jake« gesagt, und ich hatte sie geliebt, ein plötzlicher Schlag lachhafter, alles durchdringender Liebe, einfach nur, weil in ihrer Stimme, in meinem Namen, diese neue, tiefe, begeisternde Vertrautheit steckte.
    Später, als wir durch die Nacht fuhren, meinte sie: »Ich habe auch mit dem anderen Gedanken gespielt, zu Anfang. Der Radikallösung.«
    Selbstmord.
    »Aber?«
    Talulla antwortete nicht gleich. Katzenaugen huschten vorbei. Die Nachtschicht des Hungers begann. Die Lust war greifbar, sie bewegte sich wie mit schmerzenden Muskeln auf ihre Hände am Lenkrad zu, auf die kleinen straffen Gewichte ihrer Brüste, ihre Knie, den Schönheitsfleck an ihrer Lippe. Sie behielt den Blick auf der Straße. »Dafür bin ich auch nicht geschaffen, wie sich herausstellte«, fuhr sie fort. »Ich wollte nicht sterben. Ich tat nur eine Weile so, als wollte ich, das ist alles. Ich konnte nicht glauben, dass ich so weitermachen könnte, aber genau das tat ich, ich machte einfach weiter. Es hat ja keinen Sinn zu behaupten, dass Schweine nicht fliegen können, wenn sie da oben rumsausen und Tauben fressen.«
    Das Universum verlangt eine Art Deal, also geht man einen ein. Ja.
    »In Wahrheit war ich schon lange ein Ungeheuer, bevor das passierte. Ich hatte den Narzissmus von meiner Mutter geerbt und die Überkompensierung der Einwanderer von meinem Vater. Wenn es heißt, die Welt oder ich, dann kann die Welt zum Teufel gehen. Das ist natürlich abscheulich. Und befreiend. Das ist das Problem mit der Abscheu. Die lässt man hinter sich. Und dann fühlt man sich größer und leerer.«
    Die Erkenntnis riss eine Barriere in ihr ein, einen letzten Widerstand, sich den nackten Tatsachen zu stellen. Ich spürte es – wir beide spürten es –, so als wäre ein Reifen geplatzt. Talulla verstand die Einschränkungen des Genres, den Anstand, den wir zu wahren hatten. Die moralisch schnucklige Version erlaubt die Annahme der Monstrosität nur als Reaktion auf Leid oder als Akt der Auflehnung gegen den Allmächtigen. Der interviewte Vampir Louis ist verzweifelt über den Tod seines Bruders, als er Lestat de Lioncourts Angebot annimmt. Frankensteins Geschöpf wird durch die Gewalt, die ihm angetan wird, zur Gewalt getrieben. Selbst Luzifers Rebellion erwächst aus dem Leid verletzten Stolzes. Die Botschaft

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