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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Tragödie aufspielen. Gibt man sich erst dem Leben hin, wird daraus nur eine Komödie.
    Es sei denn, du verliebst dich, Jacob.
    (Harley? Arabella? Egal, ich hörte nicht hin.)
    Ich kaufte das Nötigste ein. Einen leichten Rucksack. Ein Fernglas. Seile mit Karabinerhaken. Talulla stellte keine Fragen. Nicht, um etwaigen Fragen auszuweichen, sondern weil sie es genoss, sich zum ersten Mal seit neun Monaten ganz in die Hände eines anderen zu begeben.
     
    In der tiefsten Nacht des achten Tages weg von New York fanden wir uns in einem Super 8 -Motel in Wyoming wieder.
    »Je länger ich darüber nachdenke«, sagte Talulla, »desto unwahrscheinlicher finde ich es, dass die WOKOP nichts von mir weiß.« Es war kurz vor Sonnenaufgang. Mein Kopf ruhte auf ihrem Oberschenkel. Das einzige Fenster des Motelzimmers war eine rauchblaue Raute. Wir lagen mit trockenen Augen da und konnten nicht schlafen. Der Hunger verhinderte, dass wir normales Essen zu uns nahmen. So ist das nun mal, und Jacqueline Delon hatte dies sicher gewusst: Der menschliche Appetit nimmt etwa die mittleren vierzehn Tage eines Zyklus ein. Den Rest der Zeit erholt man sich entweder von der Tötung oder bereitet sich darauf vor. Vier Tage vor dem Vollmond (zunehmend) nahmen wir nur noch Wasser, schwarzen Kaffee, Alkohol und Zigaretten zu uns. Selbst Kaugummi zu kauen kam uns einfach falsch vor.
    »Das beschäftigt mich auch die ganze Zeit«, sagte ich. »Ich bin mir sicher, dass Harley es gewusst hat, und wenn, dann gibt es keinen Grund, warum der Rest der Organisation nichts davon gewusst haben soll. Aber hast du denn nie das Gefühl gehabt, dir folgt jemand oder beobachtet dich?«
    »Würde ich das denn merken? Aber doch wohl nicht, wenn die halbwegs gut sind.«
    Stimmt. Mein eigenes Gespür dafür hatte sehr lange gebraucht, um sich zu entwickeln. Talulla war noch ein Baby. Plötzlich packte mich die feste Überzeugung, das Motel sei umzingelt und jeden Augenblick würde die Tür eingetreten. Ich sprang aus dem Bett, schloss auf, sah hinaus. Nichts. Der glitzernde Asphalt des Parkplatzes. Die Straße. Die in den Höhen weißen Berge. Reine kalte Luft und das vormorgendliche Gefühl von der Unschuld der Erde. Ich ging wieder hinein.
    »Vielleicht täusche ich mich wegen Harls«, räumte ich ein. Talulla zündete uns zwei Camels an. »Doch als ich dich in Heathrow sah, hatte ich sofort den Eindruck, das würde seine unterbrochene Nachricht vervollständigen. Da war etwas im Ton seiner Stimme, aber dazu hättest du sie kennen müssen. Aber vielleicht war es gar nicht das, was er sagen wollte. Genauso gut hätte er herausgefunden haben können, dass die Vampire wegen des Virus hinter mir her sind. Vielleicht hatte er auch nur gewusst, dass seine Deckung aufgeflogen war und seine eigenen Leute hinter ihm her waren. Ach verdammt, es hätte alles Mögliche sein können.«
    »Ich hab mich auch gefragt, ob die mich in der Nacht damals überhaupt bemerkt haben«, grübelte Talulla. »Ich meine, das waren doch nur ein paar Sekunden. Der Hubschrauber hatte Schwierigkeiten, den Scheinwerfer auf ihn gerichtet zu halten. Sie hätten mich auch übersehen können. Ich meine, sie hätten mich wirklich übersehen können. Die wären doch sonst noch mal zurückgekommen?«
    »In dem Bericht, den ich gelesen habe, steht kein Wort über dich«, meinte ich. »Außerdem hätten sie angenommen, dass du sowieso innerhalb von zwölf Stunden gestorben wärst. Sie hatten keinen Grund zurückzukehren. Was sie betraf, hättest du dich sowieso nur in eine Leiche verwandelt.«
    Talulla dachte einen Augenblick darüber nach und starrte an die Decke. Die Feststellung, dass wir keine Kinder haben würden, zeigte noch immer Wirkung. Sie fragte sich, wohin der Kummer sich verziehen, welche Form er annehmen würde. Wut – eine fokussierte Bösartigkeit – war eine Möglichkeit. Ich spürte, dass sie darüber nachdachte: die völlige Konzentration auf eine Handvoll ihrer Bestandteile. Intelligenz, Grausamkeit, Zerstörungswut. Sie konnte zu Kali werden. »Na ja, das haben sie nun von ihrer Selbstgefälligkeit«, meinte sie.
     
    Die Angst vor möglicher Verfolgung wuchs umgekehrt proportional zu den Hinweisen auf Verfolger. Mein Hinterkopf und Nacken entwickelten eine blinde Überempfindlichkeit. Ich bekam Augenschmerzen vom wiederholten Blick in den Rückspiegel. Völlig übertriebene Überprüfung eines jeden Schaltermenschen, jeden Zimmermädchens, jeden Ladenbesitzers, jeder Kellnerin. Bis

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