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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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akzeptieren, was man ist, wenn man nicht sagen kann, was man tut. Die Kraft der Namensgebung, so alt wie Adam.
    Wir kehrten ins Haus zurück, ein stummer Gang durch das stille Dorf unter den strahlenden Sternbildern. Zum ersten Mal seit dem Mord spürte ich die kleine Flamme der Lust zwischen uns flackern – dann ging mir auf: Sie hatte es vor mir gespürt, wusste, dass die nächste Phase des Zyklus eingesetzt hatte, sah sich wieder dem unausweichlichen Endpunkt gegenüber. Deshalb hatte sie oberschenkeltief allein im weinschwarzen Meer gestanden.
    In der Villa roch es nach unseren frisch gewaschenen Laken und nach der Zitrone und dem Thymian in Töpfen auf der Veranda. Wir zogen uns in merkwürdig gelassener Genauigkeit aus und glitten nackt unter die kühlen Laken.
    »Findest du es nicht komisch, dass ich dir das mit den Drogen einfach so abnehme?«, fragte sie. Irgendwann unterwegs hatten wir über Narkotika gesprochen, über meine alten Zeiten im Käfig, über den gusseisernen Safe, den Schlüssel. Ich sagte ihr die Wahrheit: Es ist möglich, es für ein paar Mondumläufe zu überstehen, wenn man sich fast zu Tode medikamentierte, drei vielleicht (beim vierten hätte ich mich beinahe selbst umgebracht, hatte mir buchstäblich das eigene Fleisch von den Knochen gerissen; ohne die beschleunigte Selbstheilung des Werwolfs wäre ich verblutet), aber es gibt zwei Gründe, es nicht zu tun. Erstens ist es das Schlimmste, was man als Werwolf durchmachen kann. Zweitens ist es sinnlos, denn ob nun diesen Monat oder den nächsten oder den danach, wenn du nicht Selbstmord begehst, wirst du mit Gewissheit wieder töten und wieder und wieder und wieder, bis du im hohen Alter stirbst oder das Silber dich findet. Das hatte ich ihr alles erklärt.
    »Das finde ich gar nicht komisch«, erwiderte ich. »Du verstehst die Logik. Moralisch gesehen, ist ein Monat Abstinenz hier und da nicht von Bedeutung.«
    »Das ist nicht der Grund, warum ich es nicht versucht habe«, meinte Lula. »Ich habe es nicht gemacht, weil ich noch weiß, wie die ersten drei Male waren, und der Gedanke, das noch einmal durchmachen zu müssen, entsetzt mich. Das hat mit Logik nichts zu tun. Das ist nur Feigheit.«
    »Geht mir auch nicht anders. Es macht mir Angst. Und beim letzten Mal, als ich es versucht habe, bin ich gescheitert.«
    »Aber du hast doch Gutes getan in der Welt. Du hast ein Gegengewicht geschaffen.«
    »Gesten mit Geld. Das heißt doch nichts, wenn man genug davon hat. Außerdem funktioniert es nicht. In der Welt der Moral ist Geld kein Zahlungsmittel.«
    Mein Penis neben ihrer Hand hatte sich gerührt. Ich wusste, dass sie es wusste. Sie bereitete sich auf die zärtliche Kapitulation vor. Durch Trauer und Scham zur Wärme und dem Frieden, niemand anderen zu haben als nur einander.
    »Es ändert sich nicht«, sagte sie. »Ich denke und denke, es müsste doch einen Weg drumherum geben, doch am Ende heißt es immer noch, entweder sich selbst umzubringen oder so weiterzumachen.«
    »Bring dich nicht um«, flehte ich.
    »Bleibst du bei mir?«
    »Ja.«
    Bleib
.
    »Vielleicht bringe ich mich um«, sagte sie. »Schwer zu sagen.«
    »Versprichst du mir, dass du dich nicht umbringst, ohne es mir vorher zu sagen?«
    »Ja.«
    »Versprich es.«
    »Ich verspreche, ich bringe mich nicht um, bevor ich es dir gesagt habe.«
    In jener Nacht hatte ich einen ganzen Wirbel lebhafter Träume. Ich glaube, wir haben uns im Halbschlaf, der fast wie Zauber wirkt, noch einmal geliebt. Dann wieder Träume. In einem davon wurde ich immer wieder von einem sich immer wieder entziehenden Insekt gestochen. Ich muss Talulla davon erzählen, wenn ich aufwache, dachte ich noch. Ich muss – doch dann entschwand der Gedanke plötzlich in der Dunkelheit.
    Als ich spät aufwachte, war das Zimmer voller Sonne, es roch nach Meer, bevor ich noch den Kopf vom Kissen hob, spürte ich die Leere in dem Bett, wo Talullas Körper hätte sein müssen, und Ellis sagte: »Himmel, Jake, wird aber auch langsam Zeit.«

47 .
    Ellis saß in dem Rattansessel am Fuße des Bettes mit dem Rücken zur Glastür, die auf die Veranda hinausging, Hände vor dem Bauch verschränkt, ein Bein breit übers andere gelegt. Die übliche schwarze Lederhose, mit Stahlkappen versehene Stiefel, ausgebleichte Jeansjacke. Heute trug er das hüftlange weißblonde Haar offen. Ein Lufthauch wehte sumpfigen Fußgeruch herüber. Eine summende Stimmgabel in meinen Zähnen entdeckte Silberkugeln in der im Schulterhalfter

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