Der letzte Werwolf
Aus reiner Kulanz. Der künftigen Zusammenarbeit zuliebe.«
»Ich verstehe. Aber, Ellis?«
Er sah mich an.
»Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein.«
Er runzelte die Stirn. Die Augen waren lapislazuliblaue Knöpfe. »Ehrlich?«
»Ja. Hören Sie mir zu, und flippen Sie nicht gleich aus: Ich weiß, dass die Talulla nicht freilassen werden. Warten Sie –«, als er den Mund aufmachte, um zu protestieren, »warten Sie. Hören Sie mir zu. Sagen Sie nichts, bis ich fertig bin. Sie und ich wissen, dass die Eierköpfe sie im Labor behalten werden. Ich kaufe Ihnen ab, dass Sie die Werwölfe wiederhaben wollen, aber nicht, dass Leute wie Poulsom sich auf das Risiko natürlicher Selektion einlassen. Ich weiß, es sieht ganz so aus, als würde ich Talulla nie wiedersehen, selbst wenn ich Grainer erledigen sollte – es sei denn, Sie sperren mich ebenfalls ein. Hören Sie, nach allem, was ich weiß, ist das sowieso der Plan. Ich erledige Grainer für Sie, und Ihre Jungs warten mit Betäubungsmitteln und einem Käfig. In dem Fall ist mir das recht. Machen Sie ruhig weiter. Wenn die einzige Möglichkeit, meine Tage mit Talulla zu verbringen, darin besteht, als Versuchskaninchen zu dienen, dann meinethalben. Lieber teile ich ihr Schicksal, als ohne sie zu leben. Und nun können Sie lachen, wenn Sie wollen.«
Ellis lachte nicht, doch die Stirn brauchte eine ganze Weile, um sich wieder zu entrunzeln. Schließlich lächelte er. »Ich sag Ihnen was, Jake«, erklärte er. »Ich mag Sie. Wirklich. Sie sind sehr hellsichtig. So viele von den Wichsern, mit denen ich zu tun habe, stolpern nur durch einen Nebel.« Er zuckte mit den Schultern. »Sie haben natürlich recht. Die wollen sie behalten, bis sie wissen, dass die Übertragung auch wirklich funktioniert. Sie wollen bis auf fünfzig Werwölfe in Gefangenschaft kommen, dann alle freilassen, und das Spiel beginnt von vorn. Ehrlich gesagt, weiß ich überhaupt nicht, warum die Ihnen was anderes unterjubeln wollten. Ich war dagegen. Das wird nicht mehr vorkommen, wenn –«, unterbrach er sich. Beinahe wurde er rot.
Wenn ich das Sagen habe
, wäre ihm fast rausgerutscht.
»Und ich?«, fragte ich. »Was soll mit mir geschehen?«
»Die wollen Sie natürlich auch, wenn wir Sie heil reinbringen.«
»Dann tun Sie das, okay?«
Er starrte mich mit heimlicher Freude an, wie es schien. »Das kann ich Ihnen versprechen, Jake. Sie haben mein Wort darauf.«
Über den Einsatz gab es nicht viel zu besprechen. Ich hatte Ellis kurz nach meiner Ankunft hier den Ort genannt, Beddgelert, und er hatte eine amtliche topographische Karte vorbereitet und darauf einen Halb-Meilen-Radius um den Ort gezogen, wo vor einhundertsiebenundsechzig Jahren mein Leben als Werwolf begann. Ich sollte mich innerhalb des Kreises aufhalten. Die Leibwache würde mich nicht nach Wales begleiten. Ellis ging davon aus, dass Grainer seine eigenen Beobachtungsposten in der Gegend stationieren würde, sobald ich den Anruf getätigt hatte: Wenn er mich in Gesellschaft von WOKOP -Leuten sah (oder hörte), würde er wissen, dass was im Busch war. Der Verfolgungswahn grassierte. Am Donnerstagmorgen würde mich ein Privatwagen abholen und mich allein direkt nach Caernarfon fahren. Ja, ich würde ein paar Stunden im Hotel ohne Schutz sein, aber das ließ sich nicht vermeiden. Ellis selbst würde bei Grainer sein.
»Er will Sie dabeihaben?«, fragte ich.
»Er hat immer gesagt, ich sollte bei ihm sein. Ich schätze, er braucht einen Zeugen. Das ist alles, was er im Leben hat, verstehen Sie? Das ist die Krönung.«
Mir ging eine Menge durch den Kopf. Vor allem ging ich im Geiste durch, wen ich kontaktieren und wie ich die entscheidenden Summen schleunigst transferieren sollte, ob ich Gelegenheit hätte, die Telefon- und Zimmerwanzen im Castle zu umgehen – vor allem aber gab es hartnäckige Schübe von Zweifel, ob Ellis es wirklich fertigbrachte, seinen Mentor umzubringen. Sinnlose Schübe. Es gibt keinen anderen Weg, um zu Talulla zu gelangen.
»Das hier ist die Telefonnummer des Büros in Marylebone«, erklärte Ellis. »Mittwoch, neun Uhr. Okay?«
»Okay.«
Er drehte sich zur Tür um.
»Ellis?«
»Ja?«
»Geht es ihr wirklich gut? Es hat ihr doch keiner was getan, oder?«
Wieder sah er mich an. Einen Augenblick lang fielen alle Schleier, und ich sah, was er wirklich dachte: Ich war geschwächt worden, ich hatte ihn auf fundamentale Weise enttäuscht. Genau wie Grainer. Genau wie seine Mutter zuvor. Er war, wie mir
Weitere Kostenlose Bücher