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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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klarwurde, der einsamste Mensch, dem ich jemals begegnet war. In diesem einen Augenblick zwischen uns sah ich seine Zukunft, den Aufstieg zum Despoten, Isolation, Wahnsinn, höchstwahrscheinlich Selbstmord. Alles ohne Liebe. Wir sahen es beide. Und als würde das Universum sich dafür interessieren, beweisen zu wollen, dass die Perversion des Herzens kein Ende kennt (auch das eines Werwolfs nicht), spürte ich kurz aufflackerndes Mitleid mit ihm. Ellis spürte es auch – und wies es erschrocken von sich.
    »Es geht ihr gut, Jake«, antwortete er. »Alles bestens. Versprochen. Machen Sie sich keine Sorgen. Brauchen Sie noch was?«
     
    Es ist drei Uhr morgens. Die Jungs von der Nachtschicht sind am Höhepunkt ihrer Langeweile angelangt. Das Feuer im Kamin ist heruntergebrannt, ab und zu fallen zischend ein paar Regentropfen durch den Schornstein in die Glut. Seit Tagen nun bin ich meine Notlage – unsere, Talullas und meine – durchgegangen und habe versucht, einen anderen Ausweg zu finden. Es gibt keinen. Das zu akzeptieren ist letztlich eine Erleichterung. In dreißig Stunden, so mein Stoßgebet an einen Gott, der nicht da ist, werde ich im Büro in Marylebone anrufen.

50 .
    Das Blut auf diesen Seiten ist meines.

51 .
    Dies sind vielleicht die letzten Zeilen, die ich schreiben werde. Wenn, dann hoffe ich, dass derjenige, der dieses Tagebuch findet, meinen letzten Willen erfüllt (der sich im vorderen Umschlag befindet) und es dir bringt, mein Engel.
    Mittwochmorgen habe ich das Telefonat geführt. Grainer hat zurückgerufen. Der Trick, so fand ich, bestand darin, es nicht zu übertreiben.
    »Jacob«, sagte Grainer. »Ich bin entsetzt.«
    »Ich will mich nicht unterhalten«, erwiderte ich. »Mondaufgang Freitag. Haben Sie Stift und Papier? Im Wald von Beddgelert, Snowdonia. OS -Koordinaten SH 578488 . Sie sollen kriegen, was Sie wollen.«
    »So betrachtet«, meinte er, »ist das wirklich die einzige adäquate –«
    Ich legte auf.
    Der Tag war ein aufgewühlter, übertrieben detailreicher Albtraum. Es regnete ununterbrochen, ein eisiger Wind rauschte und pfiff. Regenschirme klappten um. Abblendlichter flammten auf. Auf der Earl’s Court Road bildete ein verstopfter Gully einen glitzernden schwarzen Teich. Der Hunger war eine Hand mit langen Nägeln, die von der Speiseröhre bis zum Anus an meinen Eingeweiden kratzte. Und dann dieses Verlangen. O ja. Pläne zu schmieden und ein liebeskrankes Herz zu trösten waren der Libido vor dem Fluch egal; sie machte deutlich, dass sie nach der Apotheose mit Talulla beim letzten Vollmond sich mit nichts Geringerem abfinden würde. Ich musste auch auf den Alkohol achten, doch Mittwochabend war Harleys Macallan leer. Alkohol zeigte immer geringere anästhetische Wirkung. Ich hatte diese Räume seit über zwei Wochen nicht verlassen. Vielleicht lag das an einem einsetzenden Wahnsinn, aber ich war überzeugt, Lula würde sich telepathisch nach mir ausstrecken. Wahnsinnigerweise nur bis kurz vor der Hellsichtigkeit. Ich hatte Ellis gebeten, er solle Lula anrufen lassen, doch er hatte behauptet, ihm seien die Hände gebunden. Er habe schon Kopf und Kragen riskiert, die Vorbeifahrt zu organisieren, sagte er.
    Mein eigenes Telefon war konfisziert, das von Harley abgeschaltet worden. Ich hatte keinen Zweifel, dass die beiden Handys, die ich von Ellis bekommen hatte, verwanzt waren, dennoch war es eine ungeheure Herausforderung, nicht in Versuchung zu geraten. Stunde um Stunde verstrichen, ohne dass ich die Söldnerkarte hätte ausspielen können. Nun musste ich eine saubere Leitung aus dem Castle Hotel heraus finden, meine einzige Chance, unbemerkt agieren zu können. Ich hatte immer moralische Gründe vorgeschoben, um Söldner anzuheuern. Ich hatte sie gegen die Faschisten in Spanien eingesetzt, die Nazis im besetzten Frankreich, die Roten Khmer in Kambodscha, die Todesschwadronen in El Salvador, in letzter Zeit gegen die Regierungstruppen und die Dschandschawid-Milizen in Darfur – und ohne Geld geht da gar nichts. Eine Menge Geld, bar und vorab auf den Tisch. Ich habe ein halbes Dutzend Konten in der Schweiz, die nur über einen Sicherheitscode zugänglich sind, doch selbst bei meinen Möglichkeiten und Kontakten wäre der Versuch, eine Aktion innerhalb von zwölf Stunden zu organisieren, am Rand des Wahnsinns. Doch eine andere Möglichkeit hatte ich nicht. Ich würde Talulla nur wiedersehen, wenn ich selbst Zugang zur WOKOP fand, und ohne professionelle Hilfe von außen würde

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