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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Brust brannten wie Feuer. Das heilte natürlich alles ab, doch der Schmerz war entschlossen, all seine Kraft zu entwickeln, solange er nur konnte.
    Das war die Gelegenheit. Russell und Kollegen hatten alle Handys. Ich hatte auf einmal doppelt so viel Zeit für eine Rettung wie zuvor (blieb nur noch die Frage, was ich innerhalb der Räume der abtrünnigen WOKOP -Leute unternehmen wollte, um meinen Truppen mitzuteilen, wo diese Einrichtung war, doch da ich gar nicht anders konnte, als Vertrauen in die Zukunft zu haben, tat ich genau dies und fragte mich aus erschöpftem Realismus, ob die Handys heutzutage klein genug waren, dass ich eins davon in meinem Enddarm verstecken könnte). Ich stürzte hinaus auf den Treppenabsatz.
    Von oben drangen kalte Luft und das Geräusch schweren Regens herunter. Der Blutsauger hatte wohl die Dachkatze Andy erledigt und war durch die Oberlichter eingedrungen – ich musste an den jungen, rothaarigen Wazz denken, der bisher noch nicht aufgetaucht war und im Erdgeschoss Wache halten sollte. Wenn er noch lebte, dann würde er bei der kleinsten Gelegenheit explodieren. Ich wollte nicht aus Versehen von ihm erschossen werden. Außerdem würde ich ihn leider umbringen müssen, wenn ich an alle Handys kommen wollte.
    Ich trat über die Leichen von Russell und Chris und warf einen vorsichtigen Blick über das Geländer. Blut floss mir über die Wangen wie die heißen Tränen der Kindheit.
    »Suchen Sie vielleicht nach dem hier?«, fragte eine weibliche Stimme.
    Ich drehte mich blitzschnell nach links um. Mia, die blonde Vampirin, stand vielleicht fünf Meter entfernt auf dem Treppenabsatz. Die untere Hälfte ihres Gesichts war auf genau jene angeblich entzückende Weise mit Blut verschmiert wie ein Kleinkind mit Schokolade (oder wie ein Scat Star mit Scheiße, denke ich jedes Mal, wenn ich eins dieser widerwärtigen Kindergesichter sehe), und sie hielt den grob abgetrennten Kopf des unglücklichen Wazz in der Hand. Die Zunge baumelte ihm zwischen den Lippen hervor, und er hatte die Augen verdreht. Er sah ganz so aus, als hätte er gerade halbherzig ein verächtliches Geräusch machen wollen, um völlige Langeweile zum Ausdruck zu bringen.
    Mia wiederum wirkte überaus lebendig in schwarzen Stiefeln, schwarzem Wildlederrock, schwarzer Strumpfhose, schwarzer Satinbluse und schwarzer Lederjacke und lächelte durch ihre blutige Maske. Ihre blauen Augen – nicht so lapislazulidunkel wie die von Ellis, eher irgendwo zwischen blassem Indigo und Türkis – glitzerten wohl vor Vergnügen. An ihrer Schläfe pochte eine Ader. Sie war weiß, selbst nach Vampirmaßstäben. Ihrem Namen und der Begleitung nach zu urteilen, mit der sie bei Jacqueline Delon aufgetaucht war, hatte ich sie für eine Italienerin gehalten, doch als ich im Geiste noch mal ihr
Suchen Sie nach dem hier
hörte, erkannte ich an ihrem ungeheuer gemischten Akzent, dass ihre Wurzeln weit östlich von Triest lagen. Eine Russin nordischen Typs – aber warum auch nicht? Skandinavische Plünderer waren vor über tausend Jahren die Wolga hinuntergesegelt und hatten Nowgorod besetzt. Wer weiß, vielleicht lebte sie schon, als die Wikinger Konstantinopel plünderten.
    All diese überflüssigen Spekulationen hatten zudem unter dem Wahrnehmungsparadox zu leiden, dass es sich hier um eine schöne Frau handelte, die den Gestank von verrottendem Fleisch und sattestem Schweinemist von sich gab. Ursprünglich hatte der Geruch ihres Kameraden – weniger fäkal, dafür wilder – den ihren übertönt. Nun traf er mich unmittelbar und unvermischt. Ich ging in die Knie, streckte eine Hand aus, um mich vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren, glitt in Russells Blutlache aus und fiel mit dem Gesicht nach unten neben seine Leiche.
    Ich hatte nicht viel Zeit. Gar keine Zeit, um genau zu sein. Jeden Augenblick würde sie Wazz’ Kopf fallen lassen und sich auf mich stürzen. Jeden Augenblick würde es vorbei sein.
    Dennoch stellte ich gewisse Überlegungen an (Was immer geschieht, es geschieht stets noch etwas anderes). Russell lag auf dem Bauch und hatte den rechten Arm unter sich eingeklemmt. Damit war der Großteil seiner Ausrüstung nicht greifbar. Auch nicht der UV -Stick, den er noch immer in der Hand hielt. Das Holster mit dem Pflockwerfer war leer, der Pflock selbst lag anderthalb Meter entfernt in der Bibliothekstür. An den Pflock zu kommen, der noch in seiner Kehle steckte, würde drei Sekunden länger dauern als die eine Sekunde, die ich

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