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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Mia. Sie hatte ein paar Schritte getan, stand nun mit dem Rücken zu mir und suchte in ihrer Rocktasche nach etwas.
    Das Holster gab endlich die Waffe frei.
    »Nichts Ernstes«, sagte Mia ins Handy. Sie hatte ein weißes Taschentuch hervorgezogen und hielt es sich vor die Nase. Das dämpfte ihre nächsten Worte. »Vier.« Pause. »Was glaubst du denn?«
    Die kleine Brennstoffeinheit in ihrem kugelsicheren Kasten blieb an Russells Rücken geschnallt. Ich hatte keine Zeit, mich damit zu beschäftigen. Was immer ich vorhatte, musste von dort geschehen, wo ich war. Also gut. Ich kniete mich hin, hob die Waffe und drückte beide Abzüge.
    Nichts geschah. Besser gesagt, das, was ich wollte – Flammen werfen –, geschah nicht. Stattdessen schoss eine Ladung ungezündeten Brennstoffs aus dem Rohr und platschte Mia auf den Rücken der Lederjacke. Erwartungsgemäß drehte sie sich zu mir um.
    Ich besah die Waffe, als sei sie mein Kind, das mich verraten hatte. Dann sah ich zu Mia auf. Der Augenblick, den ich hatte, bevor sie sich wieder auf mich stürzen wollte, verdankte ich zum einen ihrer Überraschung, zum anderen ihrer peinlichen Erkenntnis: Sie war hochmütig geworden, hatte mir den Rücken zugedreht. Wenn Don Mangiardi das gesehen hätte … Die Scham stand ihr gut. Die weiße Haut wurde zwar nicht rot, aber das Erkennen professionellen Versagens sensibilisierte sie. Ihr Gestank nahm zu.
    In der Zwischenzeit ging ich im Geiste die Handvoll mechanischer Komponenten durch: Brennstoffschlauch, Gasleitung, Abzug zur Freigabe des Brennstoffs, Ventil, Abzug zur Zündung, Zündkerze, Batterie, Zündventil.
    Zündventil. Führt komprimiertes Gas an den Auslass der Waffe, wo es sich durch kleine Öffnungen mit Luft und Brennstoff vermischt. Ungeöffnet hat der Zündabzug nichts zum Zünden.
    Ich öffnete das Ventil.
    Mia flog mir bereits entgegen, als die Flamme sie spektakulär am Brustkorb erfasste. Der Schwung trug sie voran, doch ich drückte weiter ab. Sie schlingerte und krachte merkwürdig stumm durch den Eingang zur Bibliothek. Satte Hitze erfüllte den Treppenabsatz. Die Haut auf meinem Gesicht spannte sich. Ich ließ eine Sekunde lang los. Mia zuckte und fuchtelte um sich wie ein Roboter mit Kurzschluss, warf sich rückwärts in die Bibliothek. Wieder drückte ich die Abzüge. Ihre Arme schleuderten Flammenblüten. Sie hob ab, klappte zusammen, fiel zu Boden. Ein Bücherschrank ging in Flammen auf. Auch die Couch. Ich hatte den Schlauch so lang gezogen, wie es vom Tank auf Russells Rücken aus ging, und Mia war gerade noch so in Reichweite. Ich ließ los und gab wieder Feuer, die letzten Tropfen, wie ich merkte. Die Rauchmelder schlugen an. Mit allerletzter Kraft warf Mia sich gegen das Fenster, donnerte hindurch und verschwand himmelwärts.
    Das Feuer loderte im Bücherschrank auf, machte es sich auf dem Sofa bequem. Das Zimmer war eine Schachtel voller sündteurem Anmachholz.
    Tut mir leid, Harls.
    Keine Zeit für Elegien. Die Flammen waren von der Couch auf den Teppich übergesprungen, mein Tagebuch (dieses hier, lieber Leser, lieber Finder und, wie ich hoffe, Sachwalter des Toten) lag eine Handbreit neben dem Feuer. Ich sprang hinein, schnappte es, sprang wieder hinaus. Eine schnelle Durchsuchung von Russells Leiche förderte das Handy zutage. Auch das des kopflosen Wazz, nachdem ich die Treppe mehr oder weniger hinuntergefallen war. Ich schnappte mir einen von Harleys Mänteln im Flur, warf einen Stuhl durch das Küchenfenster (die Jungs hatten immer abgeschlossen, und ich hatte keine Zeit, nach Schlüsseln zu suchen), schnitt mir das Schienbein an einer Scherbe auf, und während zu alledem auch noch der Hunger mir die Eingeweide zerfleischte, flüchtete ich durch den nassen Garten hinter dem Haus.

52 .
    Eine Stunde später lag ich auf einem Doppelbett im Grafton Hotel in South Kensington. Das Einchecken war nicht leicht gewesen. Harleys Mantel verdeckte einen Großteil der Blutflecken, aber das versengte Haar und die vier diagonalen Streifen im Gesicht, obwohl schon halb verheilt, ließen den Mann am Empfang stocken. »Fragen Sie nicht«, sagte ich und warf die American Express-Platinkarte auf die Theke. Ein taktischer Zug: brüsker Ton und erstklassiges Plastik. Es funktionierte, wenn auch nur knapp.
    »Was zum Teufel geht da vor sich, bitte?«, fragte Ellis am anderen Ende seines Handys (ich hatte nun das Handy von Ellis, das von Grainer, dazu Russells und Wazz’. Das Telefon des Grafton, das wohl nicht

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