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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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tatsächlich. Laura Mangiardi hatte angeblich all ihre Familienprivilegien eingebüßt, weil sie sich mit Außenseitern herumgetrieben und verbotenerweise Vampire gemacht hatte, die sich der alljährlichen Dezimierung entzogen. Die Bosse gaben sich genauso verärgert wie die WOKOP . Die Bemühungen wurden verdoppelt, Kontrollen verschärft. Ein bedauerlicher Irrtum, war ja nichts passiert, lange Tradition gegenseitigen Respekts, bla bla bla. Harley blieb skeptisch. Macht nichts, hatte ich ihm gesagt. Nichts davon ist wichtig. In sieben Tagen –
    »Ach, halt die Schnauze«, hatte er erwidert.
    Der Empfangschef im Leyland stellte zwei Vermutungen an. Erstens, dass ich eine Prostituierte war, weil ich schnurstracks auf den Fahrstuhl zuging, ohne ihn eines Blicks zu würdigen. Zweitens, dass ich eine Prostituierte von schwindelerregender Ausgefallenheit oder Schmutzigkeit sein musste, weil ich nicht attraktiv war.
    »Dein Empfangschef hält mich für eine Nutte«, sagte ich zur Begrüßung zu Harley. Er stand da und stützte sich schwer auf seinen Gehstock. »Für eine Koprophilie-Spezialistin. Und diese verdammten Schuhe bringen mich um, ich sag’s dir.«
    Harley lächelte, aber wir beide wussten, meine Ausdrucksweise war der Situation nicht angemessen. Nach fünf Sekunden war die Atmosphäre im Zimmer bereits angespannt (wir wissen, wie das ist: die erzwungene Leichtigkeit, die nichtssagende Unterhaltung, die Minuten, die nicht ungenutzt verstreichen dürfen). Die Suite war groß, wirkte langweilig und geschäftsmäßig. Zu viel Blau: Vorhänge, Tagesdecke, Cordsofas. Der Blick aus dem Fenster fiel auf pfützennasse Dächer, Luftschächte, Oberlichter, den Hinterhof eines Pubs mit geschlossenen Schirmen und nassen Plastikmöbeln. Ein paar schmutzige Schneehaufen störten noch, doch der große weiße Traum war vorüber.
    Die Papiere waren blütenrein, für mein Auge makellos, doch nachdem Harley sie mir hingeworfen hatte, wo ich auf der Bettkante saß, erwähnten wir sie mit keinem Wort. Sie waren seine letzte Hoffnung gewesen, Talismane, um den toten Zauber wieder zum Leben zu bringen. Er hatte alles in seiner Macht Stehende getan und nur bewiesen, dass nichts von dem, was er tun konnte, gut genug war. Minutenlang, wie es schien, sagten wir kein Wort, ich saß auf dem Bett und hatte die bestrumpften Beine übereinandergeschlagen, er stand im Profil am Fenster, als Silhouette vor dem milchig grauen Nachmittagshimmel Londons.
    »Was hast du vor?«, fragte er.
    »Ich gehe nach Wales. Snowdonia. Ich bin nie wieder dort gewesen, weißt du?«
    Harley machte den Mund auf und wollte etwas sagen – der Reflex zu widersprechen – und schloss ihn wieder. Wir beide hatten geglaubt, es würde etwas geben, das noch gesagt werden musste, wir beide würden noch auf etwas stoßen, das gesagt werden musste, doch Harley starrte hinaus auf die zitternden Dachpfützen, und ich wusste, er bekam einen ersten echten Eindruck von seinem Leben ohne mich, was in etwa so wirkte wie der gummiartige antiseptische Geschmack nach einer Zahnarztbehandlung.
All die Menschen, die Marlowe getötet hat
.
    »Ich sehe dich vor mir«, sagte ich, »in Südamerika. Weiße Baumwollpyjamas. Mangobäume. Ein staubiger Hof. Ein heißer, blauer Himmel und ein halbes Dutzend unbeweglicher, makellos weißer Wolken. Du gehst dorthin, wo es schön ist. Du denkst, Gott wird dir niemals verzeihen, doch der einzige Gott ist Schönheit, und Schönheit vergibt immer. Sie vergibt mit ihrer unendlichen Gleichgültigkeit.« Ich zündete mir eine Camel an, sah mich im Spiegel, eine leicht dunkel wirkende, unattraktive Frau, die auf einem Bett sitzt und raucht. Irgendwo in unseren Hintergedanken hatte die Vorstellung gehaust, meine Maskerade könnte den Schrecken mildern.
Und wenn ich lach’ ob manchen ird’schen Dingen, thu ich’s, weil ich nicht weinen mag
. Es war auf dieselbe Art fehlgeschlagen, wie lustige Musik bei einer Beerdigung fehlschlagen kann. Harley setzte sich auf eins der blauen Cordsofas, stellte den Stock zwischen die Knie, zündete sich eine Gauloise an und kratzte sich langsam an der hohen Stirn.
    »Ich fasse es nicht«, sagte er.
    »Also wirklich, Harls.«
    »Eltern sollten nicht ihr Kind begraben müssen.« Der Zigarettenqualm wirbelte auf, so als mühe er sich damit ab, etwas darzustellen. Die Erinnerungen des Zimmers waren die an masturbierende Handlungsreisende und ehebrecherische Pärchen.
    »Tut mir leid«, sagte ich. Das auszusprechen, gab mir

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