Der letzte Werwolf
Ein schwarzer Transit, ungewöhnlich für die Jagdgesellschaft, die normalerweise schnellere Fahrzeuge bevorzugte.
Sie waren erfreut, mich zu sehen. Das war höllisch deprimierend. Das will ich nicht.
Natürlich nicht. Seit vierzig Jahren wartet Grainer nur darauf, den Tod seines Vaters zu rächen. Was für eine Rache ist das denn, wenn der Mörder ihm auch noch dankbar dafür ist? Also provozieren wir den Mörder, bis er etwas anderes zeigt als Dankbarkeit.
Die Frage lautete: Hatte es funktioniert? War Harleys Tod (oder, wie ich annehmen musste, Folter und Tod) Anreiz genug, den Wolf dazu zu bringen, sich dem Kampf zu stellen?
Nach menschlichen Maßstäben wäre es geradezu obszöne Schwäche, darauf mit Nein zu antworten. Harley, ein Mann, der sein Leben meinem Schutz gewidmet hatte, der mich geliebt hatte, dessen Liebe ich ausgenutzt hatte, wenn es mir passte, und den ich hingehalten hatte, wenn mir danach war, war meinetwegen gefoltert und umgebracht worden. Ich kannte den oder die Mörder, ich hatte die Mittel und die Erfahrung, das Verbrechen zu rächen; wenn nicht ich, wer dann?
Aber meine Maßstäbe sind nicht menschlich. Wie denn auch? Der Gedanke, mich morgen Nacht Grainer zu widersetzen, lockerte meinen Handgriff am Lenkrad des Vectra. Rache beinhaltet einen Glauben an die Gerechtigkeit, doch den hege ich nicht (meine Philanthropie, meine guten Taten können Sie nicht zählen. Das ist nur ein Rest, Gewohnheit, ein überkommenes persönliches Buchhaltungssystem. Das hat nichts mit Prinzipien zu tun, sondern nur mit dem moralischen Äquivalent einer Selbstbefriedigung). Ich wusste, was ich fühlen
sollte
. Ich wusste, dass Grainer (und Ellis, denn der würde ja mitmachen) dafür zahlen mussten. Aber
müssen
und ich hatten uns getrennt, als ich meine schwangere Frau tötete, sie fraß und einfach weiterlebte.
Bei Trefor bog ich von der Straße ab, das Fahrzeug der WOKOP folgte mir und hielt fünfzehn Meter entfernt, als ich an der Seeseite des Dorfes stehen blieb. Ich schwitzte. Der Fluch spielte bereits Free Jazz in meinem Blut und gab mir eine Gänsehaut. Die Hand, die ich hob, um mir über das Gesicht zu wischen, war der ungeduldige Geist einer anderen Hand, des Zwischendings, schwer, elegant, mit Krallen versehen. Die Verwandlung würde in weniger als vierundzwanzig Stunden stattfinden. Meine Körperhitze erfüllte den Wagen. Ich stieg aus.
Besser. Kalter Wind und Regen. Hände, Kehle, Gesicht, Kopfhaut wurden gekühlt. Der Strand war nah. Ein blasser Fußweg führte dorthin. Mit wehendem Mantel nahm ich ihn. Am WOKOP -Transit öffnete sich eine Tür, schlug wieder zu. Diese plumpe Überwachung, dieser heiße Atem im Nacken würde ziemlich bald ziemlich unerträglich werden, das hatte Grainer bestimmt so angeordnet, eine besondere satirische Irritation, aber darüber konnte ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Es gab nur einen Punkt, über den ich nachdenken, einen Punkt, den ich entscheiden musste.
ES WAR NICHT SCHMERZLOS . ES WAR NICHT SCHNELL .
Höher gelegenes Gras wich flachen Sanddünen. Plötzlich der raue frische Geruch des Meeres. Der alte Weltkriegsveteran in mir rührte sich: Die Salzluft Margates war durch das offene Fenster gedrungen und vermischte sich mit dem angenehmen Geschmack zwischen den Beinen eines Mädchens (die Erinnerungen der Toten verstopfen mich wie Arterienverkalkung. Ich bin voll, hatte ich zu Harley gesagt. Ich habe einfach von
allem
genug).
Das Läuten einer Boje wehte, von Wind und Regen gedämpft, herüber. Die Lichter eines Tankers funkelten, brachten das Bild von einer gemütlichen Galley mit sich, von grobgestrickten Pullovern, Blechtassen, Selbstgedrehten. Irgendwo landeinwärts konnte ich einen Hubschrauber hören; es klang wie endloses Maschinengewehrfeuer.
Welche Motivation habe ich, wollen schlechte Schauspieler wissen. Grainer hatte mir eine geliefert.
Ich habe Ihren Freund umgebracht, nun wollen Sie mich umbringen
.
Hätte beinahe funktioniert. Die Zündschnur zu der entsprechenden Gefühlsbombe brannte, knisterte, glühte, strahlte ein paar Herzschläge lang, dann flackerte sie, stotterte, ging aus. Doch ich konnte dem nicht genug Bedeutung beimessen. Ich konnte nichts mehr irgendeine Bedeutung beimessen. Rache für Ermordete hieß, dass die Toten genug Nachleben genießen, um deine Bemühungen gutheißen zu können. Doch die Toten genossen nichts dergleichen. Die Toten gingen nirgendwohin, es sei denn, du warst ein Ungeheuer, das ihnen das Leben
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