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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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genommen und in sich hineingefressen hatte. Das ist das Geschenk, das ich hätte Harley machen sollen, besser gesagt, es mir von ihm hätte machen lassen sollen. So wären wir zumindest am Ende zusammen gewesen.
    Ich wandte mich landeinwärts, war leichten Herzens und schwer wie das tote Meer, dachte: Danke, lieber Grainer, aber nein danke – als zwei Dinge passierten.
    Erstens steckte ich meine Hände in die Manteltaschen und spürte in einer davon die Wollmütze, die Harley mir in jener Schneenacht unbedingt hatte mitgeben müssen. Du frierst sonst am Kopf, du Dummer, hatte er gesagt. Weil er mich geliebt hatte und ich ihn nicht, hatten wir die Beziehung als aufbrausender, liebender Vater und missgelaunter Sohn geführt. Sie hatte gehemmt und leicht spielerisch begonnen, doch wie so vieles, das auf diese Art beginnt, hatte die Beziehung etwas von dem emotionalen Gewicht angenommen, über das sie sich lächerlich gemacht hatte. Und diese Erinnerung versetzte mir auf jene verschrobene Weise, wie so etwas nun mal geschieht, einen Stich, schmerzte an der leeren Stelle, wo die Energie sein sollte, mich auf Grainer zu stürzen.
    Zweitens ging der Agent, der mir gefolgt war, sechs Meter entfernt auf ein Knie und feuerte direkt auf mich.
    Ich spürte einen eisigen Stich im Oberschenkel, ewige drei Sekunden milden Zorns – dann gingen alle Lichter aus.

21 .
    Egal was sie benutzt hatten, beim ersten Mal stimmte die Dosierung noch nicht. Ich kam gerade so lang wieder zu Bewusstsein, um an Zittern, Lärm, der Form der Kanzel zu erkennen, dass ich in einem Hubschrauber lag. Arme, Beine, Brust, Kopf waren festgebunden. Eine Männerstimme (sicherlich nicht die eines Vampirs) sagte auf Französisch: »
Merde
, er ist wach« – dann spürte ich den Stich einer Nadel, und die Dunkelheit umfing mich wieder.
     
    Die Verwandlung weckte mich, und ich roch Rost, Diesel und Seetang. Ich lag mit meinem sich verändernden Rücken auf einem Metalltisch; die Gurte waren verschwunden. Meine Kleider auch. Schultern, Schienbeine, Kopf, Hände und Hüften verschoben Blut und drängten Knochen, sich den metamorphischen Forderungen des Fluchs zu beugen. Mein Zirkus an konsumierten Leben erwachte. Die Welt fühlte sich merkwürdig schlingernd an. ›Also gut, ich hoffe, ihr seid bereit, ihr Arschlöcher von Kidnappern, wer immer ihr auch seid‹, dachte ich. Dann jaulte ich auf vor Hunger nach lebendem Fleisch und drehte mich zur Seite.
    Grelles Halogenlicht zeigte mir, dass ich in einem Käfig hockte.
    In einem Schiffsbauch, wie es aussah.
    Und ich wurde gefilmt.
    Jenseits der Gitterstangen standen drei Männer und eine Frau zwischen zwei bewegungsempfindlichen Kameras auf Stativen. Einer der Männer war der Agent, der mich betäubt hatte, Anfang dreißig, mürrisches Meerschweinchengesicht mit einem Nasenstecker und einer schwarzen Wollkappe. Die anderen beiden waren große Skinheads in nicht zusammenpassenden Kampfhosen und Timberland-Stiefeln. Der eine, dessen Arme golden behaart waren, hatte besorgniserregend glasige Augen. Der andere hatte ein Babygesicht, mit überrascht blickenden Augen und einem Grübchen im Kinn. Beide waren mit Automatikgewehren und Seitenwaffen ausgestattet.
    Die Frau in enger weißer Hose und einem figurbetonten roten Top war Jacqueline Delon.
    Sie hatte sich in den letzten zehn Jahren nicht sonderlich verändert. Schlank, kleine Brüste, winzige Taille und ein schmales Gesicht. Kurze rote Haare in jenem jungenhaften Stil, den sich scheinbar nur Französinnen zutrauen. Als ich sie das letzte Mal vor dem Burj Al Arab in Dubai gesehen hatte, hatte sie ihre Augen hinter einer großen Sonnenbrille versteckt, und ich hatte meine Schlussfolgerungen (hoffend, gelangweilt) aus dem strichlippigen Mund und dem offenkundigen Narzissmus ihres Benehmens geschlossen – Verstopfung und nette verworrene Libido. Diesmal sah ich auch ihre Augen, schmal, schmutzig grün, voller schlafloser Intelligenz, eine strahlende Fassade zwanghafter Verspieltheit zum Schutz vor weiß Gott was, Todesangst, Ausweichverhalten, Schuldgefühlen aus Reichtum, Einsamkeit, Liebeshunger – vielleicht auch nur ungeheure Langeweile.
    »Kann er sprechen?«, fragte das Babygesicht auf Französisch.
    »Nein«, antwortete Jacqueline. »Aber er versteht uns. Also sagt besser nichts, was ihr später bereut.«
    Ohne die geringste Vorwarnung warf ich mich knurrend gegen die Gitterstäbe.
    Jacqueline zuckte kaum zusammen, das musste man ihr lassen. Die Männer

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