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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Delikatessengeschäfte und drei Restaurants ihres Vaters, die in Manhattan und Brooklyn lagen, und heiratete sie. Das Familienimperium nahm den unproduktiven Nikolai nur widerstrebend auf. 1975 (Ford saß im Weißen Haus, im Kino lief
Der weiße Hai
, Saigon fiel an den Vietcong, die Roten Khmer überrannten Kambodscha, auf den intellektuellen Bücherregalen tauchte
Humboldts Geschenk
auf, auf den unteren Regalen
Shogun
) brachte Colleen das einzige Kind der Demetrious zur Welt: Talulla Mary Apollonia, heute vierunddreißig, geschieden, Werwölfin.
    »Es ist in Kalifornien passiert«, sagte sie und beendete damit die qualitativ andere Stille, die nach der Erläuterung ihres Namens eingesetzt hatte. (Es ist in Kalifornien passiert. Wir unterhielten uns jetzt über ›es‹. So würde es weitergehen, wurde mir klar. Diese ersten Stunden würden in milder Schizophrenie vergehen, in der mehrschichtigen Realität dessen, worüber wir zu sprechen hatten, was wir
waren
.) »Letzten Sommer«, fuhr sie fort. »Meine Scheidung war rechtskräftig, und ich war nach Palm Springs gefahren, um ein paar alte Freunde aus der Uni zu besuchen. Vorgeblich, um meine neue Freiheit zu feiern. Eigentlich fühlte ich mich richtig schlecht. Traurig, gestrandet, hässlich, sexuell tot.« Der Scheidung war die Entdeckung vorangegangen, dass ihr Ehemann Richard, Highschool-Lehrer und angehender Schriftsteller, eine Affäre mit der Sekretärin des stellvertretenden Direktors gehabt hatte. »›Weißt du‹, habe ich zu ihm gesagt, ›wenn es wenigstens eine Neunzehnjährige mit aufgeblasenen Titten gewesen wäre, dann hätte ich ja noch mit ein wenig Würde abgehen können. Du tust mir leid, Richard, wirklich.‹ Aber die Frau war
siebenundvierzig
. Du kannst dir ja vorstellen, was für Auftrieb mir das gegeben hat.«
    »Jedenfalls«, fuhr sie fort, »hatte ich von Palm Springs die Nase voll und fuhr mit einem Mietwagen zum Joshua-Tree-Nationalpark, um meine Wunden zu lecken. Ich wohnte in einem kleinen Motel an der Route 62 , wanderte am Tag durch den Park und trank abends Tequila mit den jungen Leuten, die das Motel betrieben. Die Wüste war ein Trost. Ach übrigens, wir sollten uns einen Cuervo aufs Zimmer bestellen, findest du nicht? Ich habe den Eindruck, das ist erst die Ruhe vor dem Sturm, obwohl ich nicht weiß, welcher Sturm.«
    Die Lykanthropie hatte Talulla verändert, führte schneller zu Themenwechseln, erlaubte ihr Intuitionen, verlieh ihr eine lockerere und ganz allgemein stärker von der Libido geprägte Intelligenz. Sie hatte einen Abschluss in Englisch und ein, wie sich herausstellte, nur mäßiges Interesse am Journalismus. Sie arbeitete auf diesem Gebiet, doch ohne rechten Willen, und nach ein paar Jahren trieb es sie zurück in den Familienbetrieb. Die Bildung blieb, doch tat sie sie im lockeren Ton und mit dem hellen Kopf ihres amerikanischen Geschäftssinns als hoffnungslosen Blödsinn ab. Ich bestellte den Tequila, dazu ein halbes Dutzend frischer Limonen, und machte mir zum tausendsten Mal Sorgen, ob Harleys Pässe nicht unbrauchbar waren, ob Grainer und Ellis nicht schon auf ›Bill Morris‹ gestoßen waren, der sich im Plaza mit seiner neuen Werwolfperle eingeigelt hatte.
    »Eines Nachts landete ich in einem Horrorfilm«, erzählte Talulla. »Ich schätze, das war wohl die dümmste Kette von Handlungen, die ich jemals begangen habe. Erst bin ich nachts allein in die Wüste gefahren. Und dann auch noch abseits der Hauptstraße. Ich war am Tag draußen am Lake Havasu gewesen und hatte vor, ohne die langweilige Route  62 zu nehmen, ins Motel zurückzufahren. Es war noch nicht spät. Es war Vollmond. Mein Wagen blieb liegen.«
    Der Tequila und die Limonen wurden gebracht. In der Bar der Suite fand ich Schnapsgläser und schenkte uns ein. Dies waren, wie ich wusste, die hochoktanigen Minuten, Tage, Wochen, in denen alles, was sie tat, am phallischen Faden ziehen konnte. Wie sie das Glas austrank. Die blasse Kehle und das weiche Haar, das nach hinten fiel und rote Ohren mit Perlensteckern enthüllte. Und das ist noch gar nichts, sagte
Wolf
. Warte nur. Warte nur.
    »Der Horrorfilm ist schon immer da«, erzählte sie weiter. »Dazu braucht es nur gewisse Umstände. Meistens Dummheit. Du fährst herum und denkst, dein armes gebrochenes Herz ist schon was Besonderes, und plötzlich bleibt dein Wagen liegen und alles um dich herum sagt: ›Ähm, nein, Schätzchen, der entscheidende Punkt ist, du bist allein hier draußen, du

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